Wie kann eine wirklich nachhaltige Wirtschaft aussehen? Das fragte sich auch Marcin Jakubowski. Der US-Physiker stand nach der Promotion 2003 vor der Entscheidung, eine reguläre Akademikerkarriere zu verfolgen oder stattdessen etwas ganz neues zu probieren. Er entschied sich trotz hohem Risiko für letzteres und kaufte mit gespartem Geld eine kleine Farm in Missouri, um dort ein Labor für die Wirtschaft der Zukunft zu entwickeln – die sogenannte "Factor E Farm".

Maschinen für ein zeitgemäßes Leben

Jakubowski hatte nicht etwa vor, einen einfachen Biohof betreiben und als Aussteiger zu leben. Stattdessen schwebte ihm Größeres vor: Er wollte alle Maschinen, die für ein dörfliches, aber mit neuester Technik ausgestattetes Leben nötig sind, mit einem Team von Helfern auf seiner Farm Schritt für Schritt selbst entwickeln. Doch nicht nur das: Die Baupläne und Designs für die Apparaturen sollten ins Internet gestellt werden, so dass alle Interessierte sie nachbauen und sich an der Weiterentwicklung beteiligen können. Das Projekt "Open Source Ecology" war geboren, das mit einer Handvoll gleichgesinnter Träumer begann und heute eine weltweite Community umfasst, die sich an der Verwirklichung von Jakubowskis Utopie beteiligt.

 

Das bisher Erreichte kann sich sehen lassen: Das Projekt hat eine marktreife Ziegelpresse entwickelt, die weniger als die Hälfte vergleichbarer kommerzieller Geräte kostet. Weiterhin sind mehr als 60 funktionierende Prototypen von 12 verschiedenen Maschinen entstanden, darunter ein Traktor, eine Maschine für die automatisierte Metallverarbeitung, ein Sägewerk und ein Generator. Bis 2015 sollen 50 Geräte entwickelt werden, die zusammen die Produktion der meisten für das Leben notwendigen Dinge ermöglichen: das "Global Village Construction Set" (GVCS), zu deutsch: Set für den Aufbau eines globalen Dorfes.

Das Open-Source-Prinzip

Inspirieren ließ sich der Physiker vom sogenannten "Open-Source"-Gedanken. Dieses Prinzip stammt aus der Softwareentwicklung und setzt darauf, das kostenlose freie Kopieren der Programme zu erlauben und den Quellcode aller Programmdateien frei zur Verfügung zu stellen. Die Entwicklung erfolgt durch eine Gemeinschaft von Freiwilligen. Mit dieser Methode entstanden etwa der Browser Firefox und die Betriebssysteme der Linux-Familie, darunter Googles Handysystem Android und das für PCs geeignete Ubuntu. Doch die Methode beschränkt sich längst nicht mehr auf Software: Auch Projekte wie die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia und der Kartendienst OpenStreetMap wurden mit denselben Prinzipien entwickelt.

 

Freilich haben bisher die meisten dieser Projekte eines gemeinsam: Sie stellen sogenannte "immaterielle" Güter her. "Open Source Ecology" will das ändern und auch materielle Produkte produzieren, wie Landmaschinen, einen Industrieroboter und sogar ein Auto und einen Lastwagen. Dies klingt auf den ersten Blick utopisch, da für solche komplexen Produkte nicht nur materielle Rohstoffe nötig sind, sondern die Lieferkette teure Produktionsschritte über alle Industriezweige hinweg umfasst.

Mit modularem Design zum schnellen Ergebnis

Die Lösung hat das Projekt Wikispeed vorgemacht: Über modulares, in vernetzten kleinen Teams verteiltes Arbeiten hat der mittelständische US-Autohersteller in gerade einmal drei Monaten ein nach dem Wikipedia-Prinzip hergestelltes Cabrio entwickelt, das nur 1,5 Liter Benzin auf 100 km verbraucht und damit viele "Ökomobile" renommierter Autohersteller alt aussehen lässt. Wikispeed kooperiert heute mit Open Source Ecology – gemeinsam wollen beide Projekte das erste wirkliche Open-Source-Auto herstellen. Mit dem "Extreme Manufacturing" hat Wikispeed eine neue Produktionsmethode entwickelt, die nun auch bei Open Source Ecology eingesetzt wird.

 

Alle Technologien von Open Source Ecology sind modular designt, damit sie sich gegenseitig ergänzen. So können beispielsweise die Motoren der Maschinen schnell ausgetauscht werden. Bei Einzelteilen, die noch nicht vom Projekt selbst hergestellt werden, werden Standardteile genutzt, die man überall auf dem Baumarkt erstehen kann. So kann man auf kostspielige Produktionsstraßen verzichten und alle Maschinen in kleinen Werkstätten nachbauen. Jakubowski vergleicht das Prinzip gerne mit Legosteinen: Aus einfachen Standard-Elementen lassen sich alle möglichen Dinge herstellen.

Nach der Knappheit - Video von OSE - Zum Aktivieren der deutschen Untertitel auf das Untertitelfeld rechts unten gehen.

Per TED-Talk zum Erfolg

Natürlich gab es wie bei jedem Projekt auch Rückschläge. So stand das Projekt 2009 fast vor dem Aus, als mehrere Mitglieder der Gruppe sich heillos mit Jakubowski zerstritten und aus der "Factor E Farm" auszogen. Doch seit 2011 scheint man endgültig auf der Siegerstraße angekommen zu sein: Nach einem Beitrag Jakubowskis auf der renommierten TED-Konferenz stiegen die Spendengelder auf ungeahnte Höhen.

 

Heute verfügt das Projekt über ein Budget von mehreren Zehntausend Dollar pro Monat, und die Mitarbeiter bekommen inzwischen vielfach ein Gehalt ausgezahlt. Die Euphorie war so groß, dass man zunächst dachte, bereits bis Ende 2012 alle 50 angestrebten Technologien fertigstellen zu können. Inzwischen hat man eingesehen, dass es so schnell nicht geht, und einen nachhaltigeren Strategieplan erstellt. Der neue Zeitplan sieht vor, sich bis 2015 Zeit zu lassen und stattdessen erst das Projekt zu stabilisieren, um auch wirklich langfristig nachhaltig wirtschaften zu können.

 

So werden Produkte wie die Ziegelpresse und der Traktor in kleinem Maßstab bereits an interessierte Bauern in der Region verkauft, womit erstmals genuine Einnahmen entstehen. Ebenfalls werden überall auf der Welt lokale Projekte angestoßen. Open Source Ecology hat seit Anfang 2012 auch einen Ableger in Deutschland (OSE Germany), der ganz der deutschen Energiewende verpflichtet ein kleines Windkraftwerk entwickelt. Dabei vernetzen sich die Mitglieder auch mit anderen ähnlichen Projekten wie der in der USA starken Maker-Community oder europäischen Ökodörfern. Weiterhin unterstützt der südafrikanische, vom Ubuntu-Projekt bekannte Multimillionär Mark Shuttleworth über seine Stiftung das Projekt mit einigen Hunderttausend Dollar im Jahr.

Ausblick: Schafft OSE eine neue Wirtschaftsordnung?

Auch wenn Open Source Ecology noch ein Stück Weg vor sich hat, hat die Idee ein riesiges Potenzial. Mit der bereits heute fertiggestellten Ziegelpresse können für sehr geringe Kosten aus normaler Erde stabile Häuser gebaut werden, was besonders in den Ländern der Dritten Welt eine Linderung der Wohnungsnot verspricht. Und die Landmaschinen des Projektes könnten die Mechanisierung der Landwirtschaft auch für kleine afrikanische oder indische Bauern erschwinglich machen.

 

Doch was geschieht, wenn sich die neue Produktionsweise tatsächlich durchsetzt? Wenn etwa der von OSE entwickelte Industrieroboter fertig ist, sich weltweit verbreitet und von jedem Interessierten nachgebaut werden kann, können Szenarien entstehen, die bisher wohl nur in Science-Fiction-Romanen angerissen wurden. Jede lokale Gemeinschaft könnte dann vielleicht die meisten für den Lebensunterhalt nötigen Dinge selbst produzieren, und das mit einem hohen Automatisierungsgrad. Die Produktionsmittel würden zu sogenannten Commons, zu frei für jeden verfügbaren Gemeingütern, solange die dafür nötigen Materialien vorhanden sind.

 

Es kann also sein, dass durch Open Source Ecology und ähnliche Projekte am Ende tatsächlich eine neue Wirtschaftsordnung entsteht, die auf lokalem, nachhaltigem und kooperativen Wirtschaften basiert. Zumindest ist das Marcin Jakubowskis Ziel. Er will langfristig nicht weniger als die Ressourcenknappheit auf der Welt bezwingen. Ob er es erreicht, bleibt abzuwarten.

 

Laden ...
Fehler!