Manuel der Erste gilt als Initiator für Fliesen in Palästen und Kirchen

Nationalpalast Sintra - Heike NedoDom Manuel der Erste (König von 1495 bis 1521) bereiste 1498 in Spanien die Gegend von Andalusien. Diese Reise gilt als Initialzündung für die portugiesische Azulejos-Tradition. Bis dahin wurden glasierte Fliesen als Bodenbelag genutzt. Ihre Verwendung an Wandflächen von Palästen und Kirchen begann mit dem Wunsch König Manuels, seinen Palast in Sintra nach andalusischen Vorbildern zu gestalten. Paläste wie der Alcazar von Sevilla waren ausschlaggebend dafür, dass Fliesen des Sevillaner Mudejar-Stils Einzug in portugiesische Villen, Kirchen und Klöster fanden. Der Palst in Sintra nahe Lissabons – der Palacio Nacional de Sintra – zeigt die spanisch-maurische Azulejos-Kunst des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts am eindrucksvollsten. In ihm sind alle Azulejos-Typen der damaligen Zeit in situ vertreten, so wie auch die einzigen auf der iberischen Insel erhaltenen Fliesen der sgraffiato-Technik.

Nationalpalast Sintra nahe Lissabon

Azulejo-Verkleidung im "Sala das Pegas" - stilisiertes Muster (Bild: Heike Nedo)

Portugiesische Azulejos-Kunst emanzipiert sich von andalusischen Vorbildern

Obwohl es in Portugal in dieser Zeit noch keine bedeutende eigene Azulejos-Produktion gab, emanzipierte sich bereits im Palast von Sintra die Fliesenkunst Portugals von der in Spanien. Schon in Sintra zeigt sich der eigenständige Wille der Portugiesen, sich in der Azulejo-Dekoration vom andalusischen Vorbild zu unterscheiden. Im Palast von Sintra wird auf die üblichen Stuckverzierungen verzichtet, dafür aber mehr Wert auf die räumliche Wirkung der Azulejo-Dekoration gelegt. Architektonische Besonderheiten werden betont, Fenster und Türen erhalten Zierleisten und auch der bevorzugte Grünton kann als portugiesische Eigenständigkeit gedeutet werden. Trotzdem mussten zur Verwirklichung hochwertige Waren aus Spanien importiert werden, so wie auch ausländische Künstler zur Ausführung der Arbeiten herangeholt wurden.
"Das 'portugiesische Phänomen' der Fliesenkunst besteht darin, diese unvergleichlichen Schöpfungen gedacht und gewollt und dann unter Inanspruchnahme kompetenter, auswärtiger Kräfte bewerkstelligt zu haben …" (Zitat aus Quelle 1 unten). Hier stand der künstlerische Wille über den technischen Gegebenheiten.

Eigene Werkstätten und Künstler setzten die Tradition der Azulejos fort

Mit dem Ende des "Goldenen Zeitalters" in Portugal versiegten die finanziellen Mittel für teure Importe aus dem Ausland. Der Wunsch nach eigenständiger Azulejo-Kunst blieb. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert kam die Zeit für einheimische Künstler und Werkstätten. Damals begann das, was heute portugiesische Kunsthistoriker als Azulejaria portuguesa bezeichnen. Dieser Ausdruck steht für die künstlerische Azulejos-Produktivität des Landes in den letzten fünf Jahrhunderten. Die meisten Werkstätten konzentrierten sich um die Hauptstadt Lissabon. So verwundert es nicht, dass die schönsten Beispiele für Azulejos-Kunst in Lissabon und deren Umgebung liegen. Hier siedelte sich die Mehrheit der Künstler an, die unter dem Vorbild der Spanier, Italiener und Niederländer zur Meisterschaft gelangten. Sie schufen im 16. und 17. Jahrhundert Kunstwerke, in denen Architektur und Fliesendekor eine untrennbare Einheit bildetet. 

Ein Museum für die Fliesenkunst

Im Convento Madre de Deus ist das Azulejo-Museum untergebracht - Lissabon. (Bild: Heike Nedo)

Höhepunkt der Azulejos-Produktion in Blau-Weiß

Chinesisches blau-weißes Porzellan beeinflusste im 17. Jahrhundert in ganz Europa die Fliesenkunst nachhaltig. Die Niederländer stellten ihre Fliesenproduktion auf blau-weiße Malerei um. Durch die Arbeit mit nur einer Farbe konnten sich die Künstler mehr auf figürliche, qualitativ anspruchsvolle Motive konzentrieren. So entstanden großformatige Azulejos-Tableaus, die von den Künstlern auch zunehmend signiert wurden. Seit dem kann man mehrere Werke eindeutig zuordnen. Auch hier nahmen die Portugiesen zunächst die Hilfe niederländischer Künstler in Anspruch. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hin übernehmen jedoch wieder einheimische Werkstätten die zahlreichen Aufträge aus dem ganzen Land. Zur Regierungszeit Königs Dom Joao V., dem portugiesischen Sonnenkönig (1706 bis 1750) gelangte die blau-weiße Azulejos-Produktion zu ihrem Höhepunkt. Viele große Kunstwerke wurden jedoch 1755 bei dem verheerenden Erdbeben in Lissabon zerstört. Nach dem Erdbeben wurde die Stadt mit modernen, zweckmäßigen Häusern wieder aufgebaut. In diesen Bauten wird oft der einfache Typ von Ornament-Azulejos verwendet. Ebenso nimmt die Zahl der Andachtsbilder mit den Schutzpatronen gegen Erdbeben und Feuer auf Azulejos an Häusern erheblich zu.

Im 19. Jahrhundert beginnt die Sitte der Fassadenverkleidung

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird geschichtlich bedingt der gesamte königliche Hof Portugals nach Brasilien verlegt. Die Fliesenproduktion erfährt einen wesentlichen Rückgang. So muss die vom Marques de Pombal 1767 gegründete Fabrica do Rato 1835 schließen. Dafür werden Fliesen in Brasilien gebraucht. Man begann als Schutz vor den häufigen Regenfällen und als gleichzeitige Kühlung die Fassaden der Häuser mit Azulejos zu verkleiden. Da die niederländischen, englischen und französischen Fliesenhersteller den portugiesisch-brasilianischen Geschmack nicht trafen, erlebten portugiesische Azulejos bald wieder einen Aufschwung. Zusätzlich kehren neureiche Emigranten aus Brasilien nach Portugal zurück und bringen die Tradition der Fassadenverkleidung mit. Sie investieren teilweise selbst in neue Azulejos-Fabriken. Anfangs wurden die großflächig verkleideten Häuser belächelt und mit "überdimensionierten Nachttöpfen" - casa de penico - verglichen. Mit der Zeit fand die Fassadenverkleidung jedoch Anklang und in Lissabon und Porto wurden ganze Straßenzüge mit Azulejos gestaltet. Die modernen Herstellungsmethoden der Fliesenproduktion machen nun eine massenhafte Verwendung in der Architektur möglich.

Fliesen gibt es überall in Portugal

Komplett verkleidete Häuserfronten gehören zum Stadtbild (Lissabon) (Bild: Heike Nedo)

Portugal und sein künstlerisches Erbe

In Europa wird Fliesenkunst bis heute eher als Randgebiet betrachtet, in Portugal ist dies anders. 1965 wurde in Lissabon das Azulejos-Museum – Museo do Azulejo – eröffnet. Die Grundlage hierfür schuf Joao Miguel dos Santos Simoes (1907 bis 1972) mit seinem Werk "Azulejaria em Portugal". Das Museum fand einen würdigen Platz in der Klosterkirche Madre de Deus, die selbst mit phantastischen blau-weißen Fliesen-Tableaus ausgestattet ist. Auch in der Gegenwart sind Azulejos hochaktuell. Zahlreiche Metrostationen in Lissabon wurden von Gegenwartskünstlern mit Azulejos gestaltet. Die Fassade des berühmten Ozeaneums, zur Expo 1998 errichtet, schmückt sich mit 54.000 handbemalten blau-weißen Azulejos. Viele alte Villen und Paläste werden heute als Pousada (gehobenes Hotel) genutzt und so erhalten, wie der Palacio de Estoi in der Algarve (siehe Seitenleiste rechts - mit zahlreichen Fotos). Häuserfronten, Treppenflure, Straßennamen, Hausnummern, Werbeflächen, Bänke, Brunnen und mehr werden immer noch mit Azulejos gestaltet. Der Azulejo gehört auch heute zu Portugal wie das Meer und die Sonne.

Quellen und weitere Info:

 

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