Über viele Jahre hinweg hatte ich beruflich häufig mit Briten und US-Amerikanern zu tun. Vor einigen Jahren ergab sich sogar die Gelegenheit, einige Monate in Los Angeles zu verbringen. Ich lebte in einer der teuersten Ecken der Stadt. Die dort Wohnhaften gehörten zur gehobenen Mittel- bzw. Oberschicht, waren aufgeklärt, tolerant, enorm höflich und vor allem hatten sie immer ein Lächeln auf den Lippen. Positives Denken, die Anwendung von Affirmationen (also lebensbejahenden Sprüchen) war hier ganz normal. Ich empfand die mich umgebende Freundlichkeit als unheimlich angenehm. Als selbst optimistisch eingestellter Mensch fühlte ich mich sehr wohl dort. - Zurück in deutschsprachigen Gefilden war der Schock für mich groß. Es wurde "gejammert", die Menschen hatten Trauerminen aufgesetzt, drängelten und ich empfand die meisten als wesentlich unfreundlicher und als in Los Angeles. Das war mir vorher nie so extrem aufgefallen. Und als ich umzog, schlug mir vielfach auch noch enormer Neid entgegen. Wer in Los Angeles gelebt hatte, der konnte ja nur reich sein – oder?

Nein, ich bin nicht reich geboren – ich hatte einfach immer ein bisschen Glück, Know-how zu bieten und gab mein Geld lieber für Reisen aus als für ein schickes Auto. Und: Ich hatte immer eine gemäßigt optimistische Einstellung. Das Konzept der Affirmationen kannte ich lange nicht. Ich machte das offenbar immer wieder unbewusst, indem ich mir oft ganz genau ausmalte, was ich mir wünschte - und es gleich wieder vergaß, also los ließ. Erstaunlich war, dass irgendwann meine Wünsche immer in Erfüllung gingen.

 

Nach meiner anfänglich unglücklichen Rückkehr aus den USA, begann ich dann bewusster damit zu arbeiten. Zunächst akzeptierte ich die Situation wie sie war und auch die Menschen, die mich mit ihrer Negativität und latenten Aggressivität teilweise zur Verzweiflung gebracht hatten. In einem zweiten Schritt stellte ich mir dann immer wieder vor, dass es auch an diesem Ort andere Menschen gab, mit denen ich besser harmonieren würde. In dieser Phase halfen mir auch Bücher von Gurus des positiven Denkens – wie Louise Hay, Joseph Murphy etc. 

Schließlich fand ich meinen Platz und meine neuen Freunde. - Insofern kann ich für mich behaupten, dass positives Denken in Form von "Vertrauen ins Leben" für mich durchaus funktioniert.

Was ich allerdings erstaunlich finde: Viele Deutsche, Österreicher und Schweizer arbeiten heute intensiv und ganz bewusst mit Affirmationen und positivem Denken, laufen aber dennoch vergleichsweise frustriert herum. In meinem Freundeskreis musste ich sogar einmal miterleben wie jemand nach Psychotherapie, Coaching und etlichen Kursen zum Thema "positives Denken" ernsthaft krank wurde. Burn out! - Meines Erachtens hatte sich das bereits seit langem angekündigt. Die Frau arbeitete einfach zu viel und war zudem Bossing (also Unterdrückung durch einen Vorgesetzten) ihres Chefs ausgesetzt. Da hilft ab einem gewissen Zeitpunkt einfach nur ein konsequenter Cut. Hübsche Affirmationen können eine unhaltbare Situation oder einen Chef, der einen schlecht behandelt, nicht ändern. Auch wenn das in vielen Büchern anders steht.

Eine No-Go Affirmation: "Ich bin reich"

Sehr beliebt sind Affirmationen für das "Anziehen von Geld und Erfolg". Dazu gibt es eine Reihe von Büchern, Kursen und youtube-Videos. Letztere, also die Gratis-Videos, sind zumindest kostenfrei, Kurse dazu können einen allerdings buchstäblich arm machen. "Ich bin reich und werde immer reicher", sagte sich Maxi mindestens fünfzig Mal am Tag, um "sein Unterbewusstsein zu konditionieren". Gefühlsmäßig hypte ihn die Vorstellung. Doch wenn er dann seinen Konto-Stand checkte, war der Frust groß. Das dicke Minus war noch immer da. Die Millionen waren noch nicht vom Himmel gefallen: Deshalb Regel Nummer eins:

Wähle besser Affirmationen, die einen positiven Veränderungsprozess (und Handeln!) in Gang setzen können

Im Fall von Geld zum Beispiel:

  • Ich entscheide mich jetzt dafür, einen besser bezahlten Arbeitsplatz zu finden.
  • Ich bereite mich jetzt auf ein Gespräch über eine Gehaltserhöhung vor.
  • Ich gehe achtsam mit Geld um.
  • Ich verabschiede mich jetzt von den Klagen und suche nach Möglichkeiten meinen Wohlstand zu erhöhen.
  • Ich löse mich jetzt von der Vorstellung, dass Geld etwas Schmutziges ist. Geld ist ein Mittel um mir ein angenehmes Leben zu machen.

Alle diese Affirmationen sind bewusste Entscheidungen. Sie können eine Prozess der Veränderung in Gang setzen. Sie können mich motivieren, meine Situation zu analysieren und über vernünftige Veränderungen nachzudenken. Empfohlen wird von guten Autoren auch, die eigenen "Glaubenssätze" zu durchleuchten. Wenn ich durch meine Erziehung geprägt wurde, dass Geld etwas Schlechtes ist, dass man es nur "hart erarbeiten" kann, dann wurde dadurch unser Unterbewusstsein zweifelsohne beeinflusst und es kann sich als Blockade erweisen. In einem zweiten Schritt wird man sich dann überlegen, ob diese Prägungen einen Wahrheitsgehalt (in der Realität oder für das eigene Weltbild) haben. Erst wenn man das herausgefunden hat, kann man sich daran machen, diese Einstellungen vorsichtig zu ändern.

 

Was soll man davon halten??? - (Da sind vielleicht sogar Affis besser --- ähmm.. )

So kann ich mir Biographien suchen, die mir zeigen, dass Geld verdienen leicht war. Das ist allerdings nicht so einfach. Denn "leicht" Geld verdienen können heute meist nur Menschen, die bereits über Vermögen verfügen und es angelegt haben. - Das wird nur bei wenigen tatsächlich der Fall sein. Wahrscheinlicher ist es herauszufinden, was man gerne tut und sich zu überlegen, wie man damit Geld verdienen kann. Wenn einem bestimmte Arbeiten leicht von der Hand gehen, ist es "leichte Arbeit". 

Mit Affirmationen zur Veränderung, Analyse der Situation und vernünftigem Umsetzen der gewonnenen Erkenntnisse, wird man wahrscheinlich bessere Ergebnisse erzielen, als mit dem ständigen Wiederholen von Sätzen wie "Ich bin reich" oder gar "Ich werde den Lotto-Jack-pot knacken".

 

Warnung von Psychotherapeuten

Inzwischen warnen etliche Therapeuten vor der Manie des positiven Denkens. Dadurch könnten unrealistische Erwartungen aufgebaut werden und man einen völligen Realitätsverlust erleiden. Außerdem verursachen manche Methoden offensichtlich enormen Stress. Die bekannte amerikanische Publizistin Barbara Ehrenreich beschreibt in ihrem viel beachteten Buch "Smile oder Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt" sehr negative persönliche Erfahrungen. So sei ihr nach ihrer Krebs-Diagnose sogar von Therapeuten und Ärzten positives Denken aufgedrängt worden. Sie fühlte sich immer schuldiger an ihrer Krankheit und geriet unter enormen seelischen Druck. Ähnlich kritisch setzt sich auch der deutsche Psychotherapeut Günther Scheich "Positives Denken macht krank?!: Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen" kritisch mit der Szene der "Glücksapostel" und den Verfechtern positiven Denkens auseinander. "Schädliche Esoterik" wettern inzwischen etliche Psychotherapeuten. Teilweise gibt es tatsächlich Studien und Praxis-Fälle, die eine kritische Perspektive gegenüber diesen Trends nahe legen. Es gibt aber in der professionellen Therapeuten-Szene genauso zahlreiche Angebote, welche mit solchen Methoden arbeiten. - Scheich war nach der Erstveröffentlichung seines Buches großen Anfeindungen ausgesetzt, was sich auch in den Amazon-Rezensionen spiegelt. Eine dritte Auflage liegt inzwischen vor.

Sehr haarig: Gesundheit oder Trauer

Meine persönliche Meinung ist, dass er durchaus in manchen wichtigen Aspekten Recht hat. Ganz verteufeln möchte ich diese Methoden aber auch nicht. Wie oben erwähnt, hat es mir tatsächlich in einer schwierigen Veränderungssituation geholfen. Wie so oft, werden die individuelle Situation und das rechte Augenmaß wichtig für Erfolg oder Misserfolg sein. Problematisch wird es sicher, wenn es um Fragen der Gesundheit oder Trauer geht. Ein Seelsorger hat in einem TV-Beitrag einmal erwähnt, dass er Aids-Kranke im Hospital besucht hätte, die ständig gemurmelt hätten: "Meine Zähne wachsen nach, meine Zähne wachsen nach." - Das prägte sich sehr in mein Gedächtnis ein. Auch das oben erwähnte Beispiel von Barbara Ehrenreich und ihrer Krebserkrankung finde ich abschreckend. Ich möchte mir nicht von einem Arzt einreden lassen, dass ich positiv denken muss, um eine schwierige Krankheit zu überwinden. Das erzeugt doch nur Stress. Ich finde das krank und manipulativ.

Angst wegdenken?

Ebenso problematisch scheint das Thema Angst zu sein. Relativ einfach geht es noch bei leichten bis mittelschweren Prüfungsängsten. Da gibt es zahlreiche hilfreiche und wirkungsvolle Tipps im Internet, Visualisierungstechniken ebenso wie Affirmationen, mit denen man schwierige Situationen durchaus meistert. Wenn es aber um eine pathologische – also krankhafte – Angststörung geht, sollte man sich nicht scheuen einen professionellen Psychotherapeuten aufzusuchen. Manches kann man einfach besser mit fachkundiger Begleitung lösen. Oft steckt ein tieferes Problem, ein ungelöster Konflikt oder gar ein frühkindliches Trauma dahinter. Affirmationen helfen hier wenig, lösen eventuell sogar weitere Stresssymptome aus.

Selbstakzeptanz und Selbstliebe

Liest man Bücher von der "Positiv Denken"-Fraktion genauer so werden selten einfach nur bestimmte Affirmationen empfohlen. Zumindest bei den besseren Autoren wie beispielsweise Louise Hay. Sie schreibt oft von der "geduldigen" Heilung des inneren Kindes, dass es wichtig ist sich so zu akzeptieren wie man ist. Erst mit der Selbstliebe, so Hay, können auch positive Veränderungen eintreten, schreibt sie immer wieder. Was ich nicht so toll finde, sind ihre fast zwanghaften Wiederholung, was das Loslassen von Groll-Gefühlen betrifft. Hier denke ich, ist eine differenzierte Haltung gefragt.

 

Wut, Aggression sind in unserer Welt wichtige Emotionen

Jeder Psychologe wird bestätigen, dass Emotionen wie Wut und Aggression in unserer Welt wichtig sind, um sich abzugrenzen und sich selbst zu behaupten. Die Angst vor Wut ist übrigens auch im Buddhismus beheimatet. Angeblich haben buddhistisch orientierte Psychotherapeuten enorme Probleme die Erkenntnisse der modernen westlichen Psychologie bezüglich den "positiven" Wirkungen von Wut oder Aggression anzunehmen. Vielleicht müsste sich ja die Welt ändern, damit das nicht so ist. Aber das zwanghafte Unterdrücken von "negativen" Gedanken und Emotionen wie Wut oder anderen stigmatisierten Affekten, ist mir nach eigener Erfahrung und Lektüre zahlreicher psychologischer Schriften nicht geheuer. Vorteilhafter finde das Annehmen solcher Affekte. Es geht wohl eher darum, damit keinen Schaden anzurichten. Selbstabgrenzung braucht diese Emotionen ebenso wie das Überwinden einer schädlichen Opferhaltung.

 

Zum Abschluss: Meine Lieblingsaffirmation

Rechtes Augenmaß und die persönlichen Ergebnisse bei allen psychischen Techniken scheint mir der beste Weg zu sein. Wenn mich etwas zu stressen beginnt, dann steige ich aus. Wenn ich merke, etwas führt zu Schuldgefühlen, dann steige ich auch aus. Und wenn mir etwas unnötig Angst macht, brauche ich daran nicht zu kleben. Für den Selbstanwender von psychischen Techniken dürfte das der wirkungsvollste Schutz vor Manipulation und Selbstmanipulation zu sein. Und jetzt noch meine Lieblingsaffirmation. Die hilft mir schon seit Jahren prima:

 

"Ich mache es mir so einfach wie möglich!"

Ich mache es mir

 

so einfach wie möglich ......

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Autor seit 11 Jahren
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