Der Dramatiker Peter Hacks 1976

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1700 Briefe und doch keine richtige Liebe

Anika Mauer als Charlotte offenbart eine ganze Palette ihrer Schauspielkunst, bei der präsentierten Hass-Liebe dreht sie zuweilen auf. Mit ihren 41 Jahren schafft sie es, sowohl einen kindlich-naiven Blick auf ihre (Privat-)Welt zu werfen, als auch eine griesgrämige Vettel darzustellen. Auf der Bühne altert Mauer, die das Spiel ihrer Gesichtsmuskeln gut verwaltet, in Abständen um 15 Jahre. Das recht perfide Stück ist, was die Thematik anbelangt, hochaktuell, abgesehen von der altertümelnden Sprache. Rechts auf der Bühne prangt eine Goethe-Büste, die Charlotte zugleich anbetet und anprangert, dazu kommen zeitgenössische, antiquierte Tische und Stühle und ein Spinett, auf dem sie Playback spielt. Die Regisseurin Johanna Schall hält sich eng an die Vorlage und ihre Solo-Schauspielerin trägt klassisch einen Reifrock mit absichtlich weit ausladendem Hintern. In einer gewaltigen Schublade lagern die 1700 Briefe, die Goethe mit umständlicher Anmut und direkter Offensive geschrieben hat. Wiederholt zieht sie einen heraus, um ihren Groll zu forcieren. Steifheit und Überheblichkeit wirft sie ihm vor, trotz des Dauerversuchs der Formung, die Goethe zehn Jahre ertragen musste, bis er die feinnervigen, höfischen Maßregelungen satt hatte. In ihrer Wut degradiert sie den Geheimrat zu einem Fertigkeitslosen, der nichts kann, aber das Nichts hervorragend beherrscht.

 

Der Lump und Grobian ist unsterblich

Und Charlotte kritisiert heftig seine Extravaganzen, etwa sein Malen mit Wasserfarben in hoher Gesellschaft, die den Unsterblichen zu langweilen scheint. Und das weiß sie genau: Ihm gehört die Nachwelt, ihr hingegen bleibt das Diesseits, das bestenfalls posthum aufgewertet wird, eben durch die Freundschaft mit dem jenseitssüchtigen Dichter. An manchen Stellen wird im Publikum gelacht, hauptsächlich wenn die Anklagen und Invektiven ins Drollige abgleiten, jedenfalls für Außenstehende. Sobald Anika Mauer eine Brille aufzieht, ist das bescheidene Oma-Flair perfekt. Hier spricht eine vor der Zeit gealterte Witwe, die die Einfühlsamkeit ihres Herzens mit schön gedrechselten Derbheiten vertauscht. Geistig mediokre, adlige Vornehmheit, die sich selbst immer wieder vergisst, gegen Genie. In der Tat, Goethe wird als Lump und Grobian bezeichnet, abfällige Bemerkungen gibt es zuhauf. Dann trifft ein für sie entscheidender Brief aus Italien ein, sie hofft auf eine der Liebe gewidmete Aufweichung seines Gemüts. Plötzlich will sich Charlotte scheiden lassen, alles wird gut, die Vergangenheit wird verklärt und Goethe kehrt zurück – wahrscheinlich für immer. Leider ist der Brief neutral und distanziert-kühl. Das Getobe will kein Ende nehmen.- Anika Mauer legt eine solide Leistung hin, sie spielt dramatisch wie eine gute Charakterdarstellerin. Insgesamt ist der Schall-Abend akzeptabel, ohne wahrhafte Höhen zu erklimmen. Das Renaissance-Theater, in dem sich ein völlig anderes Publikum als in den Stadttheatern tummelt, ist zumindest in einer Hinsicht Berliner Meister: Beim Programmheft.

Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe

von Peter Hacks

Regie: Johanna Schall, Bühne: Horst Vogelsang, Kostüme: Petra Kray, Dramaturgie: Gundula Reinig.

Mit: Anika Mauer

Renaissance-Theater Berlin

Premiere vom 31.Januar 2016

Dauer: 100 Minuten, eine Pause

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