Johann von Bülow

© Olaf Kosinsky / Wikipedia

 

König der Halbsätze

Der Regisseur Wilfried Minks hat für dieses Kammerspiel eine bescheidene Bühne hingestellt. Eine schlichte, prunklose Kleinbürgerstube mit einem Tisch und mehreren Stühlen. In dieser klaustrophobischen Enge ereignen sich kleine und größere Wortgefechte und es wechseln die Loyalitäten in Windeseile. Da Liam ihr - übrigens vorbestrafter - Bruder ist, hält Helen automatisch zu ihm und hindert Danny daran, die Polizei anzurufen. Judith Rosmair als Helen nutzt alle Facetten ihres Überredungsrepertoires: Wenn die Rolle als erotisches Kuscheltier misslingt, versucht sie es mit eindringlichen Worten, Betteln oder gar mit Erpressung. Aus dem anschmiegsamen Kätzchen, das nicht mit gehauchten und hingehämmerten Küssen spart, wird schnell eine fauchende Furie. Und Danny, der Underdog-Parvenü? Johann von Bülow spielt ihn eher weich, zurückhaltend und rational. Er ist ein König der Halbsätze, nach Art von: "Wir könnten doch...Lass uns noch einmal...So bringt das doch nichts... Erst einmal ruhig bleiben und dann...". In der Unfähigkeit, ganze Sätze auszusprechen, zeigt er seinen Wankelmut, obwohl er doch ein aufrechtes Fassadenleben mit klaren Konturen führen möchte.

 

Zwischen Frieden und Gewalttätigkeit

In Waisen wird die Außenwelt in die Innenwelt verlegt. Früher, da geschah das Böse nur draußen - Danny wurde von einigen Jugendlichen auf der Straße verhauen -, doch das eigene Heim als Rückzugsidylle blieb davon unangetastet. Es bestand eine Dichotomie von Frieden und Gewalttätigkeit. Die ist nun aufgebrochen durch das Erscheinen Liams, der das Bedrohliche ins abgeschirmt Häusliche trägt. Uwe Bohms Liam ist rotzig, naiv, aber mit Bauernschläue versehen, sein zerwühltes Gesicht kommt ohne große Gesten aus, es sei denn, er verleiht seinen Augen einen ungewöhnlichen Druck. Völlig in Widersprüche verstrickt, gibt Liam schließlich zu, das Opfer, einen muslimischen Mann geschlagen und gefoltert zu haben. Eine kleine Reinigungsaktion, zumal er mit einem Nazi befreundet ist und selbstständig, nach Art eines Märtyrers, ein Zeichen gegen die "Überrassung" setzen wollte. Was letztlich überrascht, ist Helens Nibelungentreue zu einem Bruder, der die Grenzen des Vertretbaren längst überschritten und das Bürgertum mit der Unterwelt vertauscht hat. Sie schafft es auch, dass Danny zum Gefolterten aufbricht und ihn seinerseits bedroht. Ja, auch im sogenannten anständigen Bürger lodert die Gewalt, die sich bei unerwartetem Anlass unaufhaltsam Bahn bricht. Hier hat der Autor Dennis Kelly wohl nicht mehr weiter gewusst. Die letzte halbe Stunde fließt recht zäh dahin, weil Kelly nichts mehr eingefallen ist, als habe er unter Druck noch einen halbwegs annehmbaren Schluss aus sich herauszupressen versucht. Das schmälert aber keineswegs den Gesamteindruck. Minks liefert in einem äußerst schlichten Rahmen ein gutes Schauspielertheater, das zwar etwas museal wirkt, aber allein schon von der exklusiven Besetzung getragen wird. Einmal mehr merkt man, dass Judith Rosmair in der Schaubühne eine nicht zu schließende Lücke hinterlassen hat.

Waisen
von Dennis Kelly

Deutsch von John Birke
Regie und Bühne: Wilfried Minks, Kostüme: Nini von Selzam.
Mit: Judith Rosmair, Uwe Bohm, Johann von Bülow.

Renaissance Theater Berlin

Berlin-Premiere am 10. Februar 2015
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!