Renaissance-Theater Berlin: Kritik von "Willkommen" – Hübner/ Nemitz
Premiere. Ein WG-Bewohner, der einen Job als Gastdozent in den USA angenommen hat, will sein Zimmer an eine Flüchtlingsgruppe weiterreichen. Das schafft naturgemäß Probleme.
Judith Rosmair
© Wikipedia / Karin Rocholl
Kulturelle Erweiterung oder nicht
Benny hat leicht reden. Als Wohlstandsbürger bekundet er seine soziale Verpflichtung, seine allesumfassende Menschlichkeit und rückt dann ab. Den Rest sollen die Verbliebenen regeln, ganz nach seinem Geschmack. Der Vorteil an der Sache: Syrier können gut kochen, vielleicht verbessern die mutmaßlich Verfolgten unter Druck sogar ihre Meisterschaft. Der Nachteil ist umso schwerwiegender. Sind Araber nicht manchmal chauvinistische Schwulenfeinde, die ihre übersteigerte Männlichkeit gerne bei Frauen ausprobieren möchten? Und dann der Lärm, der automatisch bei einer kleinen Sippe entsteht. Doro spricht es nicht aus, aber sie möchte auch mal barbusig auf dem Balkon sitzen und die elfenbeinfarbene Haut bräunen, ohne sich deshalb irgendwelche Sprüche von religiös "Gehemmten" anhören zu müssen. Das wäre die Entwertung als aller westlichen Werte, mit denen man/frau sich aus Hedonismus und Überlebensgründen ganz passabel eingerichtet hat. Bei Judith Rosmair als Sophie indes geht das Herz ganz weit auf. Diese kulturelle Erweiterung möchte sie sich nicht entgehen lassen, um ganz introspektiv dabei zuzusehen, wie dem eigenen friedensmissionarischen Herz Flügel wachsen. Benny, den das alles bald nichts mehr angeht, ist als Moderator, Ombudsmann und Mediator rein argumentatorisch betrachtet phasenweise untauglich. Noch problematischer wird es, als die jüngste WG-Bewohnerin Anna (Laura Kiehne) ihren Geliebten Achmed ( Emri Aksizoglu) aufgrund Erquickungshoffnungen einquartieren möchte, zum Quatschen, Knuddeln und mehr. Zu überprüfen ist, ob er das Herz auf dem richtigen Fleck hat. Menschlich orientierte, diskussionswütige Ökos beispielsweise sind seine Sache nicht.
Fragwürdiger Querschnitt der Gesellschaft
Die WG ist arg durcheinandergewürfelt, als wollten Hübner/Nemitz einen Querschnitt der Gesellschaft liefern. Das ist schön, aber nicht sonderlich wirklichkeitsnah. Welcher Intellektuelle gibt sich gern mit einem Bank-Azubi ab, dessen Geist ausbaufähig ist? In Frankreich ist das teilweise möglich, aber nicht in Deutschland, wo man mehr auf mentale Kongenialität und Gleichgesinnte fixiert ist. Das – übrigens gelungene Bühnenbild – verweist eindeutig auf Wohlstandsgesättigte, die in einem schönen Ambiente hausen und zusätzlich noch etwas Zeit haben, gedanklich die Komfortzone zu verlassen und sich um Schicksalsgeschlagene und Schlechtweggekommene zu kümmern. Ein Videobild zeigt es an: Eine Frau hält sich das rechte Auge zu und verweigert mit dem linken das Zusehen. Der eskalierende Streit ist gut für die innere Harmonie der Zuschauer*innen und voll theaterkompatibel, eignet sich aber denkbar schlecht für einen entkrampften Alltag. Tatsächlich sind es die beiden Stars, die die Inszenierung "machen": Imogen Kogge und die zehn Jahre jünger aussehende Judith Rosmair. Letztere, von einem inneren glühenden Strahlen erfüllt, beherrscht die meisten Gesten bis hin zur Perfektion. Da – man muss es mit einem leichten Anflug von Widerwillen wiederholen – wer wiederholt sich gern? - sitzt fast alles. In den letzten zwanzig Minuten flacht die Inszenierung etwas ab. Trotzdem ein respektabler Renaissance-Abend.
Willkommen
von Lutz Hübner und Sarah Nemitz
Regie: Torsten Fischer, Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulus, Dramaturgie: Gundula Reinig
Es spielen: Judith Rosmair, Imogen Kogge, Emri Aksizoglu, Laura Kiehne, Benno Lehmann, Klaus Christian Schreiber.
Renaissance-Theater Berlin, Premiere vom 4. Juni 2017
Dauer: ca. 90 Minuten
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)