Permanentes Kräftemessen

Die Bühne besteht aus zwei großen Couchen, im Hintergrund sind rote Umrisslinien zu sehen, die an die Maske einer Fantasy-Figur erinnern. Dahinter ist ein scharlachroter Rachen, in dem die vor scharfen Getränken berstende Hausbar steht. An ihr wird sich vor allem die Süße (Karla Sengteller) orientieren, sie kippt so einiges die Kehle hinunter, bis sie Koordinationsschwierigkeiten bekommt, halluziniert, das Gleichgewicht verliert und ihre Kotze über den Boden ergießt. Sengteller ist eigentlich nur Neben-Darstellerin, konturlose Begleiterin ihres Gatten, Raumfüllerin und Dekor. Unter den drei Streithähnen ist sie lediglich eine Komparsin, die mit sich selbst beschäftigt ist und das alles gar nichts angeht. Nick (Emre Aksizoglu), im Grunde unoffensiv, ist sofort mittendrin, obwohl er mit einem harmlosen Plausch gerechnet hat. Die offenkundige Unnormalität in diesem Haus, merkt er schnell, ist Bestandteil einer Ehe, die ein permanentes Kräftemessen anvisiert und von mühsam errungenen Klein-Triumphen zusammengehalten wird. Lasziv, rauchig und mit verführerisch verdrehter Stimme – so gibt sich Simone Thomalla als Martha. Gleichzeitig ist sie ein Raubvogel, der sich im Sturzflug seinem Opfer nähert. Hat sie nicht den weitaus subtileren George (Klaus Christian Schreiber) verstanden? Nun, Martha hat längst ein Stadium erreicht, in dem sie jegliches Feingefühl verloren hat und Scharfsinn nicht anerkennen kann. Eine Vernichtungsstrategie ist nicht vorhanden, die schärfsten Waffen und plumpesten Vorhaltungen zählen.

 

Verpfuschtes Leben

Im Grunde vermeint Martha, deren plätschernder Ton mitunter ins Raue übergeht, ihr Leben an seiner Seite verpfuscht zu haben. Sein Professorentitel ist ihr zu mickrig, er gehört nicht zu den Honoratioren, ihr Vater ist wenigstens Dekan, außerdem hat ihr George kein Kind geschenkt, also erfindet sie einen Sohn zur Pseudo-Realisierung ihres Wunschtraums. Keine Frage, George ist für ihr entsagungsvolles, genügsames Leben verantwortlich, er hat ihr Jahre der Unausgefülltheit und Leere beschert. Während Süße gerade trinkt und kotzt, wirft sich Martha an Nick heran und beginnt aus purem Sadismus zu knutschen – nur um Georges Erniedrigung zu forcieren. Aber die Flittchenrolle will nicht recht zu ihr passen. Wenigstens tritt noch in ein zerebrales Hinterstübchen ein, dass sie nach dem Zerplatzen der Sohn-Seifenblase auf ihren vermeintlichen Gegner George angewiesen ist. Vielleicht mögen sie sich nach einer Besinnung kurz läutern. Aber den Zuschauer*innen wurde im Laufe des Abends deutlich, dass das Paar sich genauso braucht wie die täglichen Streitorgien. Harmonie können die Partner nicht ertragen, oder andersrum: Streit ist ihre Harmonie.

 

Wer hat Angst vor Virginia Woolf

von Edward Albee

Deutsch von Alissa und Martin Walser

Regie: Thorsten Fischer, Ausstattung: Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulos, Dramaturgie: Gundula Reinig, Licht: Gerhard Littau.

Es spielen: Karla Senteller, Emre Aksizoglu, Klaus Christian Schreiber, Simone Thomalla.

Renaissance Theater Berlin, Premiere vom 18. Februar 2018.

Dauer: 2 Stunde, dazwischen eine Pause (25 Minuten)

 

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