Zum Verhältnis von Pop und Politik

Bei seiner Analyse geht Seeßlen davon aus, dass es in der derzeitigen Phase von Demokratie und Kapitalismus zwei dominierende gesellschaftliche Wirklichkeiten bzw. Erzählungen gibt, nämlich Politik und Pop. Charakteristisch für Politik sei der politisch-ökonomische Diskurs, der sich Logik und Vernunft verpflichtet fühlt. Charakteristisch für Pop sei das Entertainment jeglicher Couleur, wo es primär auf Bilder, Effekte und Emotionen ankommt. Hier herrsche der Wahn, sich vom elitären Instrument der Vernunft befreien zu können.

Was nun die Wahl eines Donald Trump zum Präsidenten der USA betrifft, stellt Seeßlen fest, dass diese Wahl für die erste Erzählung die Katastrophe schlechthin war, weil nun Politik als rationales, diskursives System, als System der aufgeklärten Demokratie, in der politischen Praxis keinen Platz mehr hat. Demgegenüber sei in der zweiten großen Erzählung eine Donald-Trump-Figur auf der Höhe von Macht und Reichtum stets vorhanden gewesen, und zwar vor allem als ambivalente Figur zwischen Faszination und Abscheu. Diese werde verkörpert durch den "Volkshelden".

Volkshelden und populäre Mythen

Der Volksheld ist – wie Seeßlen weiter ausführt - derjenige, der seine Interessen gegen das Establishment, gegen eine korrupte Oligarchie, die sich bereichert und ihre Legitimation verloren hat, durchsetzt. Vorbild seien dabei die Volkshelden, wie sie dem Volk in Kinodramen präsentiert werden, die zeigen, wie man in einer Gesellschaft, die gespalten ist in "Volk" und "Establishment", nicht nur überleben, sondern auch erfolgreich sein kann. Dabei stehe der Volksheld jedoch nie eindeutig auf einer Seite, sondern sei mal Volk und mal Establishment, kämpfe also gegen das Establishment und gegen das Chaos. Insofern ist der Volksheld - wie Seeßlen betont - ein autoritärer Rebell, ein Anarchist von rechts und damit das Urbild des Populisten.

Das, was alle Volkshelden der Popkultur verbinde – der Autor beschreibt hier verschiedene Varianten dieser "Spezies" – sei aber nicht nur der Aufstand gegen ein Establishment, das sich selbst bedient und unter sich bleibt, sondern auch gegen einen Geschmack, gegen eine Erzählung, gegen eine Moral, die man mit ihm verbindet. So sei Donald Trump als zeitgemäße Variation des Volkshelden Präsident der USA geworden, weil er in seiner Rolle als Kämpfer gegen das Establishment auch gegen dessen Vernunft, Moral und Geschmack antrat.

Ferner könne Donald Trump einem amerikanischen Archetyp zugeordnet werden, der ebenfalls fest in der populären Mythologie verankert ist. Und zwar handelt es sich dabei um den "Selfmademan", der unaufhaltsam von unten nach oben aufsteigt, dem es also mit seiner Rücksichtslosigkeit und seinem Machthunger gelingt, die Grenzen zwischen Establishment und Volk zu überschreiten, also tatsächlich vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen. Wie Seeßlen betont, ist der Selfmademan wie der Volksheld ein wandelnder Widerspruch, weil beide hin- und hergerissen seien zwischen der Zugehörigkeit zur Elite und zum Volk.

Die Trump-Frau

Zur Welt des Donald Trump gehören auch – wie Seeßlen zeigt - die für die Popkultur typischen Frauenbilder und Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Hier geht es um den Mann als "Macho", der die Frau wie eine Ware behandelt, den "Sugardaddy", der als alternder Mann eine schöne junge Frau aushält, aber auch um eine "Neo-Barbiesierung" der Frauenrolle, die dem Status der Frau als Luxusware entspricht.

Die Trump-Frau wisse jedoch, wie sie sich zu "vermarkten" habe, fühle sich deshalb nicht unterdrückt und halte eher ihre emanzipierte, links-liberale Rivalin für ein veraltetes Modell. Für Seeßlen ist die (Selbst-)Inszenierung der Trump-Frau als Dekoration und Ware Ausdruck einer zweiten sexuellen Ökonomie, die mit der in der ersten Erzählung, in der eine kontinuierliche Bewegung zu Gleichberechtigung und Respekt vorgesehen ist, nicht viel gemein hat, die also eine Gegenerzählung zur liberalen partnerschaftlichen Geschlechter- und Familienordnung darstellt.

Donald Trump als Cartoonfigur und als Marke

Weitere wesentliche Aspekte der Selbstinszenierung des Donald Trump als Volksheld sind – so Seeßlen - seine offen zur Schau gestellte mangelnde Bildung und Unwissenheit. Trump entfalte die Kraft des Nichtwissens, um der Macht des Wissens entgegenzutreten. Seeßlen zieht hier eine Parallele zu Zeichentrick- bzw. Cartoonfiguren wie Goofy und Donald Duck, den kindlichen Urbildern der Volkshelden. Seiner Meinung nach scheint sich niemand so gut als Cartoonfigur zu eignen wie Donald Trump. Man könne aber auch umgekehrt argumentieren, dass mit Donald Trump eine Cartoonfigur Präsident geworden sei, da er eine Gestalt ohne Metaphysik sei, zusammengesetzt aus Begehren, Aktion und Reaktion, und Sprache nur als Waffe einsetze.

Wenn man in diesem Zusammenhang noch berücksichtigt, dass Trump, bevor er in die Politik ging, in allen möglichen Geschäftsfeldern agierte und dort jeweils zur "Marke" wurde, während er gleichzeitig, beispielsweise durch Gastauftritte in Serien und Filmen als mediale Kunstfigur in Erscheinung trat, könnte man Seeßlen zufolge auch argumentieren, dass es nicht der Politiker Trump gewesen sei, der die Präsidentschaftswahl gewonnen hat, sondern dass es das Mediengespenst, dass es die Marke Trump gewesen sei einschließlich der Lebenswelten und Fantasiereiche, für die sie steht. Für ihn heißt deshalb Trumpismus, sich eigene Wirklichkeiten zu erschaffen.

"Volk" und "Eliten"

Vor dem Hintergrund, dass ein Donald Trump ja schließlich nicht durch einen politischen Umsturz Präsident der USA geworden ist, sondern von einem ausreichend großen Teil des amerikanischen Volkes gewählt worden ist, beschäftigt sich Seeßlen auch mit der Frage nach dem Verhältnis von "Volk" und "Elite" und räumt in diesem Zusammenhang gründlich mit der Vorstellung auf, dass - um es plakativ auszudrücken - "das Volk" immer gut und "die Elite" immer böse sei. Problematisch ist für Seeßlen mit anderen Worten die Neigung, "das Volk" ausschließlich in der Opferrolle zu sehen und zu negieren, dass "das Volk" auch freiwillig und aus eigenem Interesse skrupellosen Eliten zur Macht verhelfen kann.

Um hier weitere Klarheit zu gewinnen, muss Seeßlen zufolge "das Volk" in Beziehung gesetzt werden zu "anderen Völkern" und zu Herrschafts- und Regierungsformen. So können seiner Meinung nach Menschen, die unbedingt Volk sein wollen, nicht gleichzeitig wirkliche Demokratie wollen, weil diese per se einerseits keine "anderen" kennt, sondern nur ein universales Menschenrecht, und andererseits Herrschaft als institutionalisierte Macht ablehnt. Für Seeßlen bedeutet dies, dass das Gegenteil von Volk nicht Elite ist, sondern Humanismus, und dass das Gegenteil von Elite nicht Volk ist, sondern Aufklärung.

Ferner gibt es – so Seeßlen – auch nicht "die Elite", sondern Teil-Eliten, nämlich eine kulturelle, eine politische und eine ökonomische Elite. Diese Teil-Eliten konkurrieren miteinander, aber auch innerhalb der Eliten gibt es Konkurrenzkämpfe, und die jeweiligen Konkurrenten verbünden sich mit Teilen des Volkes. Die Geschichte der Präsidentschaft Donald Trumps könnte man Seeßlen zufolge nun so erzählen: "Das "demokratische" und irgendwie gezähmte, zivilisierte und regulierte Kapital wird mithilfe eines so oder so berauschten Volkes von einem anarchischen und irgendwie wilden, barbarischen und deregulierten Kapital bezwungen. Das Volk hat seinen Job erledigt, nämlich einen Umbau innerhalb der Architektur der ökonomischen Elite zu ermöglichen."

Seeßlen folgert daraus, dass die neue Elite nicht mit der Elite der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt werden dürfe. So hätte die neue Elite die checks und balances der Macht auch innerhalb des Kreises der Besitzenden und der Mächtigen aufgegeben. Insgesamt wolle die neue ökonomische Elite – zu der Seeßlen auch die Befürworter des Brexits und die deutsche AfD zählt – sich mithilfe des Volkes sowohl von ihren politischen und kulturellen Bindungen befreien als auch den Widerspruch von Globalisierung und Nationalisierung auskämpfen.

Nachklang

Seeßlen beendet sein Buch mit einem eher pessimistischen Nachklang, in dem er vor einem weltweiten Triumpf des Trumpismus über Rechtsstaatlichkeit und Humanismus und damit einer historischen Niederlage der Demokratie warnt. Diese wäre seiner Meinung nach vielleicht nur noch dann zu verhindern, wenn man die Demokratie neu erfindet. Dazu möchte ich anmerken, dass wir möglicherweise in diesem Jahr 2020, mitten in der Corona-Krise, gerade diese Neuerfindung der Demokratie erleben, wenn man an die weltweiten Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt denkt, die durch die Ermordung des Schwarzamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten ausgelöst worden sind.

Bewertung

Indem Georg Seeßlen sich in seinem Buch nicht auf die Person Donald Trump beschränkt, sondern die kulturellen und politischen Hintergründe beleuchtet, die dessen Wahl zum US-Präsidenten ermöglicht haben, erfährt man, was sich "hinter den Kulissen abgespielt hat". Dabei nutzt der Autor – und das ist für mich ein besonderer Vorzug des Buchs - die "Causa Trump" für eine Grundsatzdebatte zum Thema "Volk und Elite" und damit zum Phänomen des Populismus. Insgesamt bietet das Buch eine informative und gleichzeitig spannende Lektüre. Zur Anschaulichkeit trägt bei, dass der Autor seine Argumentation oft durch das Einfügen treffender Bilder unterstützt.

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