Aus dem Alter in die Jugend

Buchcover

© Siedler Verlag

 

Seit dem urknallartigen Paukenschlag macht das Theater einen steten Verjüngungsprozess durch, der längst noch nicht abgeschlossen ist. Von Aischylos und seinem Stück "Die Perser" (472 v.Chr.) ist der Sprung zu Dimiter Gotscheff nur ein kleiner. Der Feuilleton-Chef stimmt in den Kanon der vielumjubelten Inszenierung ein, deren Premiere im Herbst 2006 im Deutschen Theater Berlin stattfand. Die Kritiker überschlugen sich förmlich vor Begeisterung, und auch Schaper, der aufgrund seiner Wesensart zur Glorifizierung neigt und bei dieser Arbeit die Ärgernisse und Verrisse einfach weglässt, sieht einen virtuosen, konzentrierten und formvollendeten Abend. In 35 Jahren will er etwa 2500 Aufführungen gesehen haben, das macht, grob umgerechnet, etwa 6 Aufführungen im Monat, was für einen passionierten, kunstgenussfreudigen und weitgereisten Theatergänger nicht einmal sonderlich viel ist. Seine Diktion ist präzise und trotz der knappen Sätze teilweise artistisch, obwohl etwas pathosgeladen. Er verwendet nicht die Wörter, die ihm gerade einfallen – er sucht nach ihnen und wird auch fündig. Es ist eine Beredsamkeit, die nur selten in Geschwätzigkeit ausufert.

 

Hinterher findet man alles schöner

Schaper ist ein Mann, der gern und viel von seinen Reisen erzählt. Hier zeigt sich auch seine Affinität zur bildenden Kunst und zur Architektur. Ob Bagdad, Kabul, Baalbek (aus dem er gerade noch fliehen konnte) oder ein israelisches Kibbuz-Theater – der von Institutionen wie das Goethe Institut Eingeladene trifft zuweilen einen poetischen Ton, der freilich aus der selektiven Retroperspektive stammt: Hinterher findet man alles schöner, wie bei einer nachträglichen Verklärung. Etwas verwunderlich ist seine Vorliebe für das juvenil gestimmte Berliner Grips Theater, dessen "emotionale, intelligente Wärme" er unverhohlen feiert. Nicht anders bei der alten Volksbühne, ein nach der Wiedervereinigung geistig abgebranntes Theater, das vom – mittlerweile Fossil gewordenen – Intendanten Frank Castorf wiederbelebt wurde. Marthaler war neben dem Meister einer der wichtigsten Regisseure, im Hintergrund Lilienthal als Dramaturg und Halbkurator, das spätere Schwungrad vom Hebbel am Ufer. Schaper hat aber noch viel mehr zu erzählen, etwa seine persönliche Bekanntschaft mit Robert Wilson, Alain Platel und etlichen anderen wie Marina Abramovic und Butho-König Kazuo Ohno, die die Verbrämung und Weiterentwicklung des Kunstbetriebs vorantrieben. Die Passionsspiele in Oberammergau aus dem Jahr 2000 scheinen einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben, nicht nur wegen der Geschichte von Lazarus. Letztlich ist es ein sehr privates, ein subjektives Buch der Würdigung, die alle missratenen Aufführungen auslässt. Schaper mag in manchen Aufführungen oft ans – technisch nicht mögliche - Weiterzappen gedacht haben, weil ihn eine Gegenwartsinszenierung genervt hat. Aber ist nicht das Theater, das so gern in die Vergangenheit zurückfällt, ein Licht der Zukunft? Das Theater lebt weiterhin.

Rüdiger Schaper: Spektakel. Eine Geschichte von Schlingensief bis Aischylos. München: Siedler 2014, 347 Seiten

 

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