Salat und Tomaten vom Dach in den Laden
Vom Fraunhofer Institut wird die vertikale Landwirtschaft, die zusätzlich die Ressourcen von Gebäuden nutzt, vorgestellt.Warum werden zusätzliche Anbauflächen gesucht?
Seit dem Jahr 1990 hat sich in Europa, nach der Agrarreform, die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von etwa 12 Millionen gewaltig gesenkt. Ziel soll die eine Millionengrenze sein. Für Deutschland, das über verhältnismäßig wenig Ackerland verfügt, ist geplant, weniger als 100.000 landwirtschaftliche Betriebe zu erhalten. Wer schlussfolgert, dass demzufolge mehr als genug Grund und Boden für eine Bewirtschaftung zur Verfügung steht, spekulierte falsch. Die Flächen werden oft als Bauland ausgewiesen oder von Unternehmern zur Gründung neuer Firmen oder zum Bau von Wohnlandschaften genutzt.
In den Städten vieler asiatischer Länder ist freies Land, zur Bewirtschaftung, ebenfalls eher selten. Dazu kommt, dass die Agrarindustrie, weltweit, die Kleinbauern verdrängt. Wanderarbeiter, allein in China sind es mehr als 250 Millionen Menschen, verdingen sich als schlecht bezahlte Saisonkräfte. Wirtschaftliche Landflüchtlinge erhoffen sich in den Städten eine zukunftssichere Arbeit. Ein weiterer Faktor der zur Aufgabe vieler Landwirtschaften beiträgt, sind die weltweiten Kriege. Sie verändern gravierend die Besitzverhältnisse von Grund und Boden und erschweren, zum Beispiel durch Minen, einen jahreszeitlichen Anbau. In diese Versorgungslücke können Kleingärtner und zukünftig die vertikale Landwirtschaft, das Angebot an frischem Gemüse erweitern.
Volkmar Keuter, Leiter des Fraunhofer-inHaus-Zentrums in Duisburg
2013 übernahm Volkmar Keuter die Leitung des Fraunhofer-inHaus-Zentrums in Duisburg. Es ist ein in Europa einzigartiges Projekt in dem sieben Fraunhofer Institute und eine große Anzahl von Wirtschaftspartnern, gemeinschaftlich Systeme zur Lebensmittelproduktion in Städten erforschen.
Volkmar Keuter hat langjährige Erfahrung im Bereich Wassertechnik
© Fraunhofer UMSICHT
Minuspunkte für die konventionelle Landwirtschaft
Die Projektleiter von "inFarming" stellen Daten der konventionellen Landwirtschaft in den Raum und regen an zu bedenken, ob es sinnvoll ist, zehn Milliarden Menschen auf den Ernährungszustand der heutigen Welt von etwa 1,5 Milliarden Menschen zu bringen. Schon heute wird, so ist es täglich in den Medien zu lesen, in Europa viel zu viel Nahrung vernichtet. Wer ohne zu zögern für die Beibehaltung einer konventionellen Landwirtschaft stimmt, muss bedenken:
Landwirte, die konventionell anbauen, brauchen, um wirtschaftlich zu arbeiten, viel Land. Damit die Pflanzen darauf gut gedeihen, werden weltweit etwa 70 Prozent des zur Verfügung stehenden Trinkwassers verbraucht. Damit die zahlreichen Fahrzeuge und Gerätschaften ihren Dienst tun können, verbrauchen sie Benzin oder Strom, der bei seiner Gewinnung und beim Verbrauch mit circa 14 Prozent zu den weltweiten CO2 Emissionen beiträgt.
Dem gegenüber wirbt das "inFarming"-Projekt mit einer geringen Anforderung an Fläche, keine zusätzliche Versiegelung der Landwirtschaft, frische Produkte, geringe Transportkosten, wenig Treibhausgasemissionen und dem zusätzlichen Angebot innerstädtischer Grünflächen.
Petersilie auf dem Dach: Blumen, Obst, Gemüse i... | Aufgeräumt! | Grün auf kleinen Dächern. Dachbegrünung für jed... |
Ein Modellprojekt in New York City
Im Gebäudekomplex »Blue Sea Developments«, New York City, wird zurzeit ein Modell der integrierten Landwirtschaft umgesetzt.
Foto: BrightFarm Systems
Ein Prototyp für das "inFarming-Konzept" entsteht in Duisburg
Das Haus steht mitten in einer Großstadt, in dem Fall in Duisburg. An ihn wird die Anforderung gestellt, mit möglichst wenigen Ressourcen und auf einem möglichst geringen Raum, einer schnell wachsenden Bevölkerungsanzahl, gutes Gemüse, aus einer gebäudeintegrierten Landwirtschaft, anzubieten. Damit der vorhandene Feinstaub, der die Qualität der Produkte senken könnte, gebunden wird, ist die gesamte Gebäudefassade mit einem speziellen Moos bewachsen.
Die Forscher arbeiten an langfristigen Entwicklungsstrategien für die vertikale Landwirtschaft. Dazu gehört auch die Optimierung der Wasser und Energieversorgung. Die benötigte Energie für "inFarming" wird teilweise durch die Nutzung der Abwärme des Hauses aufgebracht. Zusätzlich sind Sonnenkollektoren und Kleinstwindkraftanlagen, die auf den Dächern installiert werden, eingeplant. Es wird bei der Bewässerung Wert auf einen geschlossenen Kreislauf gelegt. Das anfallende Schmutzwasser wird durch ein mit Pflanzen bewachsenes Filtersystem gereinigt und kann wieder genutzt werden.
Schon der Bau der Anlage, die Isolierung und der Brandschutz erfolgen mit biologisch einwandfreien Materialien und Werkstoffen, bei denen Wert auf Leichtigkeit gelegt wird. Dort wo Kunststoffe eingesetzt werden, sind es Biokunststoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe. Das tragende Konzept ist das zur optimalen Flächennutzung, der Ernteunterstützung und der Nachhaltigkeitsbewertung.
Auch wirtschaftlich könnte das Projekt erfolgreich sein
Wer ein Projekt dieses Ausmaßes plant, ermittelt zunächst, ob es sich wirtschaftlich rechnen könnte. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung und das Umweltbundesamt, dass es in Deutschland etwa 1.200 Millionen Quadratmeter an Dachfläche von Bürogebäuden gibt, von der etwa 360 Millionen Quadratmeter für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt werden könnte. Bei der Ermittlung der Daten für den bisherigen Gemüseanbau wurden die letztgültigen von 2008 zugrunde gelegt. Zu der Zeit wurden Obst und Gemüse in Deutschland auf einer Fläche von 120.000 Hektar angebaut. In Obst und Gemüse ausgerechnet sind es etwa 3,5 Millionen Tonnen, die dort jährlich geerntet werden. Der zusätzliche Nutzwert einer vertikalen Landwirtschaft: Es könnten 28 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, das sind etwa 80 Prozent der gesamten CO2 Emissionen, die entstehen, gebunden werden. Das "inFarming-Konzept" wurde 2010 im Rahmen der Deutsch-Vietnamesischen Zusammenarbeit, bei der Messe Greener Cities in Hanoi, Vietnam, von Fraunhofer UMSICHT präsentiert.
Foto: Frisches Gemüse, auf dem Dach gezüchtet, gelangt ohne Transportemissionen direkt in das Warenregal Foto: BrightFarm Systems
Zukunftsaussichten der vertikalen Landwirtschaft
Besonders in asiatischen Ländern, aber auch in Deutschland, wo verhältnismäßig wenig Ackerland zur Verfügung steht, könnte die vertikale Landwirtschaft, unter dem Aspekt der Ernährungssicherheit und Gesundheit und der gemeinschaftliche Nutzung der Ressourcen eines Gebäudes, zukünftig eine große Rolle spielen, erklärt Simone Krause, Projektmitarbeiterin bei UMSICHT. Es werden verwirklichte Projekte, in denen eine gebäudeintegrierte Landwirtschaft schon funktioniert vorgestellt: Der Greenpark, Venlo, der Science Barge, Hudson River, der Green Port, Shanghai und der Greenport India.