Schaubühne Berlin: Patrick Wengenroth. Kritik von Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Premiere. Der Klamaukspezialist Wengenroth inszeniert das Fassbinder-Drama erstaunlich seriös. Natürlich kann er auch diesmal auf Gesang nicht verzichten.Jule Böwe, Patrick Wengenroth (Bild: © Gianmarco Bresadola)
Empfindliche Lustdefizite
Der Regisseur, wagemutig wie immer und in einem halberotischen Hausdress steckend, hat sich diesmal die undankbare Rolle der devoten Dienerin Marlene zugeschanzt. Zu seinem Job gehört es unter anderem, sich von der Hauherrin Petra von Kant (Jule Böwe) anherrschen zu lassen und still ergeben saftige Ohrfeigen zu empfangen. Marlene hat die Liebe zu ihrer Chefin in den tiefsten Kammern ihres Herzens vergraben und scheint aus den Demütigungen einen besonders delikaten Genuss zu ziehen, als sei das ein Surrogat für ungewährte libidinöse Verabreichungen. In Wohlstand eingehüllt, erzählt die erfolgreiche Modeschöpferin von Kant ihrer Freundin Sidonie, dass sie den Gestank der Männer satt habe, zumal ihr Verflossener sie genommen habe "wie ein Bulle eine Kuh". Die persönliche Vorstellung des jungen Models Karin Thimm (Lucy Wirth) schlägt wie ein Blitz ein ins hungrige lädierte Gemüt, das geprägt ist von empfindlichen Lustdefiziten. Eine Lesbenbeziehung, gespeist aus Liebe, Ökonomie und Macht, entspinnt sich. Es ist dies ein permanenter Wechsel von Hedonismus und Anämie, eingebettet in Strapsherrlichkeit.
Ungewöhnliche Glut in den Blicken
Die Bühne besteht aus einer großflächigen fussligen Teppichlandschaft, sie ist unterteilt in drei Räume, die nahtlos ineinander übergehen und nur durch Rundbögen kenntlich sind. Das extravagante Ambiente in dieser abgekapselten Welt muss man sich hinzudenken. In diesem Kammerspiel sind alle Figuren von der Außenwelt abgeschnitten, eine Seelenentblößung geschieht nahezu zwangsläufig. Karin berichtet von ihrer Ehegeschichte, gerät wiederholt in einen rasenden Heulanfall, fängt sich aber sofort wieder und redet gelassen weiter. Ein überfallartiger Gesichtsaustausch: Der Regisseur kann von seinem offensichtlich genetisch bedingten Parodiebedürfnis doch nicht ganz lassen.
Immerhin, er prangert seine Figuren nicht an, er diffamiert nicht und vermeidet diesmal seinen notorischen, mit Humor angereicherten Zynismus. Als von Kant ihre Angebetete ansieht, legt Jule Böwe eine ungewöhnliche Glut in ihre Blicke und ihre Augen leuchten auf, als habe sie eine magische Offenbarung von unabsehbarer Tragweite erhalten. Bis zu einem Strahlenmeer glitzernder Funken hat sie sich zwar nicht emporgeschwungen, aber der seelische Überschwang ist dennoch überdeutlich. Psychische Vibrationen unter Gesang. Die beiden Liebenden rollen auf dem Teppich, begleitet von Wengenroths sanften Kehllauten, die wie geschaffen sind für anspruchsvolle Schlagersongs. Dann erfolgt ein gegenseitiges Bespucken mit Zartgefühl. Anders als bei der Gorki-Studio-Inszenierung Gegen die Wand, als sich die Figuren von Anne Ratte-Polle und Anika Baumann hasserfüllt bespieen haben.
Herabsinken in die Brüllphase
Der Umschlag kommt mit der Erbarmungslosigkeit des Schicksals. Karin erzählt seelenruhig vom Sex mit einem "Neger", nach einer abschließenden intensiven Knutscherei möchte sie zu ihrem Gatten zurückkehren. Petra gerät in Wut und Verzweiflung, aus dem zärtlichen Spucken wird ein feindseliges. Jule Böwe sinkt herab in die Brüllphase, kehlig, hämmernd, unerbittlich. Rachegedanken steigen auf, und: "Womit habe ich das verdient?" Ein von Resignation erfüllter Oma-Spruch einer Niedergeschlagenen. Auch als die Tochter (Iris Becher) mit einem Geburtstagsgeschenk heranrückt, muss sie sogleich Schreie über sich ergehen lassen. Man kann nur hoffen, dass in den nächsten Aufführungen bei Jule Böwe keine Heiserkeit auftritt.
Insgesamt handelt es sich um eine recht interessante Studie über Besitzanspruch und psychische Abhängigkeitsverhältnisse. Petra von Kant kennt keine reine Liebe, für sie ist Liebe Macht über die Gefühle anderer, doch wer mehr liebt, so Fassbinder, ist der Schwächere. Petras Einsicht kommt spät, deshalb bietet sie Marlene die Freundschaft an. Bei Fassbinder packt Irm Hermann aufgrund angekündigter verweigerter Demütigungen ihre Koffer, Wengenroth indes lässt den Schluss offen. Der Regisseur – mittlerweile ein zahnloser Tiger, der sich in letzter Zeit zu viele Happy-End-Filme angesehen hat? Nun, für ihn ist dieses Drama eine relativ ernsthafte Angelegenheit.
Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Von Rainer Werner Fassbinder
Realisation: Patrick Wengenroth, Bühne: Mascha Mazur, Kostüme: Andy Besuch, Musik: Matz Kloppe, Licht: Erich Schneider.
Mit: Jule Böwe, Lucy Wirth, Iris Becher, Patrick Wengenroth.
Premiere vom 7. September 2013
Dauer: ca. 1 Stunde, 40 Minuten, keine Pause
Bildnachweis: alle Bilder © Gianmarco Bresadola
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)