Christoph Gawenda, Urs Jucker, Ingo ...

Christoph Gawenda, Urs Jucker, Ingo Hülsmann, Franz Hartwig, Robert Beyer (Bild: © Gianmarco Bresadola)

Die Grauen des Krieges

Regine Zimmermann

© Gianmarco Bresadola

 

 

Hans Reiter alias Archimboldo kann so unbekannt nicht gewesen sein. Nach dem 2. Weltkrieg, an dem er aktiv teilgenommen hat, produziert er unter Hochbetrieb einen Roman nach dem anderen, doch mit äußerst bescheidenem Verkaufserfolg. Immerhin scheint sein Ruf zu Fachkreisen vorgedrungen zu sein, denn ein Buch wird von dem nach Santa Teresa übergesiedelten Professor Amalfitano übersetzt. Der Hüne Sebastian Schwarz, physisch stark, aber fernab von spiritueller Kraft, spielt den Dichter, der sich fortwährend auf einem Laufband bewegt, als sei diese Einrichtung nach der "Kosmischen Oktave" in den Berliner Sophiensaelen Mode geworden. Anscheinend hat dieser Schriftsteller auch ein Kuschelbedürfnis, da er sich heftig an eine Frau (Eva Meckbach) anlehnt bzw. sich anlehnen lässt. Irgendwann landet Reiter in einem amerikanischen Lager, wo er auf einen ehemaligen Nazi-Bürgermeister (Ingo Hülsmann) trifft, der sich unter äußersten Hemmungen von 500, wegen eines Bürokratiefehlers bei ihm gelandeten Juden entledigt hat. Die Grauen des Krieges, die Totengeister werden heraufbeschworen, sie werden nie ruhen.

Blutverschmierte Frauenleichen

Sind die beiden ersten Teile noch etwas für auf sprachliche Sensibilitäten fixierte Ästheten, so kommt es im dritten Teil zu einer Konfrontation mit der kruden Wirklichkeit. Ein amerikanischer Journalist möchte sich in Santa Teresa einen Boxkampf ansehen und feiert Party, bei der sich Jule Böwe, die körperlich noch gut in Schuss ist und ihr raues Underground-Image längst abgelegt hat, in extrem kurzen Hotpants präsentiert. Dargestellt wird das Ganze in einem kleinen, grün flirrenden Kasten, um die gesellschaftliche Enge aufzuzeigen. Immer wieder dringen die Frauenmorde ins feierliche Leben ein, und schließlich flüchten der Journalist und die anhängliche, hauptsächlich Gitarre zupfende Rosa (Eva Meckbach) in die USA. Martialisch wird's im vierten Teil, der einem mit Zynismen gesättigten Polizeiprotokoll ähnelt. Regine Zimmermann liegt als blutverschmierte Leiche auf dem Boden, ein Symbol für die vielen unaufgeklärten Frauenmorde. Starke Bilder entstehen, Männer mit Macho-Gehabe wühlen sich durch Gestrüpp. Etliche Kreuze werden herangetragen und in die Erde eingepflanzt – ein grandiose Szenerie. Konterkariert wird sie allerdings durch primitive Frauenwitze, nach dem Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen einem Vulkan und einer Frau? Der Vulkan ist ein Erdloch und die Frau ein Arschloch. Das wird zwar nicht gesagt, aber auf diesem Niveau bewegen sich die verbalen Amüsements, dass einem Feingeist geradezu die Galle hochkommt.

Wie ein Kaleidoskop

Robert Beyer, Jule Böwe

© Gianmarco Bresadola

 

 

Der ellenlange Roman wurde gerafft, doch er hätte eine weitere Raffung gebraucht, um ihn theaterkompatibler zu machen. Es fehlen die fließenden Übergänge, das Drama wird zu werkimmanent inszeniert. Manchmal verzettelt sich der Regisseur in Marginalien, die den Rhythmus aufbrechen und die Dramatik herausnehmen. Die beiden Frauenrollen werden gut ausgefüllt, vor allem die durchs Theater domestizierte, in einem roten Kleid auftauchende Jule Böwe zeigt sanftere Klänge, die zu überzeugen vermögen. Eva Meckbach spielt hauptsächlich das weibliche Anhängsel und bekommt nicht die Gelegenheit, aus ihrem facettenreichen Pool zu schöpfen. Sebastian Schwarz ist nun nicht gerade der feinnervig differenzierte Schriftsteller, der aus poetischen Gefilden seine humanistisch orientierte, verschlungen-erhabene Kraft schöpft, dafür ist er zu rustikal. Das Drama ist wie ein Kaleidoskop, jeder kann sich etwas daraus herausgreifen, was den Geist oder die Einbildungskraft beflügelt. Es läuft teilweise zähflüssig daher, aber manchmal schillern irisierende Glanzpunkte hindurch und erheben das gewagte Projekt in ungeahnte Höhen. Angesichts der Castorf-Länge ist der Applaus des visuell und kognitiv erschöpften Publikums in erster Linie höflich.

2666
von Roberto Bolaño
In einer Fassung von Álex Rigola und Pablo Ley

Deutsch von Florian Borchmeyer
Regie: Álex Rigola, Bühne: Max Glaenzel, Kostüme: Nina Wetzel, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Licht: Albert Faura.
Es spielen: Eva Meckbach, Jule Böwe, Regine Zimmermann, Sebastian Schwarz, Robert Beyer, Christoph Gawenda, Franz Hartwig, Ingo Hülsmann, Urs Jucker.

Schaubühne Berlin

Deutsche Erstaufführung vom 3. April 2014

Dauer: 4 Stunden 30 Minuten, zwei Pausen

Fotos: © Gianmarco Bresadola

 

 

 

 

 

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