Radeln fürs Licht

Radeln fürs Licht

Ein Luxusproblem von Mittelschichtlern

Das Einrichtungshaus Ikea an der Kasse. An diesem unvergleichlich romantischen, kommunikationsförderndem Ort fällt es dem Mann ein, dass die beiden bald ein Kind bekommen. Das Paar hat also vor, einer Welt mit 7 Milliarden Menschen, die bald auf 10 Milliarden anwachsen werden, eine neue Existenz hinzuzufügen. Ein Luxusproblem von kultivierten Angehörigen der Mittelschicht? Man liest gelehrte Bücher, man ist geistig bewandert und (über-)reflektiert. Während andere Zeitgenossen fabrikartig und serienmäßig Babys produzieren, den alarmierenden Klimawandel ignorieren und notfalls auf ein Auffangbecken, aufs soziale Netz hoffen, herrscht hier eine übertriebene Katerstimmung bei einem Anlass, der eigentlich innerliche Freudentänze und verhaltene Jubelkaskaden auslösen müsste. Das Thema ist nicht neu: In den 70er Jahren waren es nicht nur linke Feministinnen, die angesichts eines weltweiten, gigantischen Waffenarsenals und der forciert betriebenen Atomkraftwerke keinen Nachwuchs in eine bedrohte Umwelt setzen wollten, da ins Leben gezwungene Kinder des Kalten Krieges unter diesen Umständen viel gelitten hätten.

Ökologisierung der Bühne

Quasi parallel zum Text wird die komplette Ökologisierung der Bühne (Chloe Lamford) inauguriert. Es wird recyceltes Material favorisiert, das Team von Katie Mitchell griff tief in die gelbe Tonne und in den Schaubühnen-Lagerbestand. Über den Fahrrädern der wadenstarken Akteure Wirth und Gawenda hängen Boxen wie ein Menetekel, das jederzeit mit der Wucht einer Naturkatastrophe auf die beiden hereinbrechen kann. Das angekündigte Kind ist kein Fanal, sondern ebenfalls ein Menetekel. Lucy Wirths Figur ist eine Doktorandin, sie entwirft Negativbilder und verbreitet ihre Enttäuschungen, sie grinst hämisch, schimpft zuweilen und hegt Beziehungszweifel. Eine zur Zicke hochgeschraubte enervierte Frau, die plötzlich wieder Feingefühl zeigt und einen Hauch von Wärme versprüht. Das wachsende Umweltdesaster, das im schlimmsten Fall in einen fortwährenden Kampf um Rohstoffe und andere Ressourcen, ja in einen Krieg münden kann, beschäftigt das Paar so sehr, dass die Beziehung kurz vor dem Bruch steht.

Lucy Wirth, Christoph Gawenda

Lucy Wirth, Christoph Gawenda

In einer unentrinnbaren Dystopie gefangen

Mitunter vergisst einer der beiden Akteure das Betätigen der Pedale, um geistig innezuhalten: Prompt wird dem Verweigerer das Licht ausgeblasen und ein Teil des Bühnenraums in nebulöses Dunkel gehüllt. Den Mantel des Schweigens kennen sie nicht, ständig wird geliebt, gestritten, versöhnt und wieder geliebt. Der unausgesetzte Hang zum Spintisieren und das Talent dieser Bildungsbürger, aus einem Maulwurfshügel einen Berg zu machen, führt zu maßlosen Ängsten und Übertreibungen, beispielsweise erzeuge der nahende Sprössling tonnenweise CO 2, das selbst permanente Flüge nach New York in den Schatten stelle. So viel Unheil ringsum, und das bei guten Bio-Vorzeigemenschen, die sich auf Fairtrade-Produkte kaprizieren und wirtschaftlich orientierte, mit etlichen Filialen ausgestattete Großfirmen ablehnen. Warum nicht Farmer werden und, flankiert von Öko-Gehölz, Bäumchen pflanzen und Gemüse anbauen? Aber das Paar hat keine Utopie, es ist in einer scheinbar unentrinnbaren Dystopie gefangen. Während andere ums nackte Überleben ringen, schaffen sich die Saturierten ihre Probleme selbst. Niemand ist da, der ihnen frische Luft in die Lungen bläst. Das notorische Entlieben und Wiederlieben ist für das Publikum äußerst anstrengend. Am Ende beklatscht es artig eine bestenfalls mittelmäßige Premiere.

Atmen
von Duncan Macmillan

Deutsch von Corinna Brocher
Regie: Katie Mitchell, Bühne und Kostüm: Chloe Lamford, Sounddesign: Max und Ben Ringham, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Jack Knowles.
Es spielen: Lucy Wirth, Christoph Gawenda.

Schaubühne Berlin

Premiere vom 30. November 2013

Dauer: ca. 85 Minuten, keine Pause

Foto 1 u.2: © Stephen Cummiskey

Foto 3: © Katja Strempel


 

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