Nina Hoss, Lore Stefanek, Stephanie ...

Nina Hoss, Lore Stefanek, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Mark Waschke (Bild: © Arno Declair)

Die Paare machen sich selbst zu Gefangenen

Ein echter fahrtauglicher Kleinwagen steht auf der Bühne, wo Nina Hoss als Andrea und Mark Waschke als Boris darüber debattieren, in welches Restaurant sie gehen oder ob sie doch gleich vögeln sollten. Ein weiteres Paar inklusive vergreister Mutter taucht auf, und damit auch ausgedehntere Komplikationen: Françoise (Stephanie Eidt), die Frau von Eric (Renato Schuch), ist die beste Freundin von Boris' Gattin. Von nun an hängen die fünf wie eine Klette aneinander, als hindere sie eine überpersonale irrationale Instanz daran, ihre eigenen Wege zu gehen. Es ist das gleiche Strickmuster wie bei "Gott des Gemetzels": Obwohl die beiden Paare sich hinlänglich satt haben, können sie sich infolge eines geheimnisvollen Mechanismus nicht voneinander trennen. Sie sind Eingeschlossene, machen sich selbst zu Gefangenen. Und da Yasmina Reza das Drama extra für Ostermeier geschrieben hat, hat sie vielleicht ein wenig in den vergangenen Arbeiten des Regisseurs herumgewühlt. Das Aneinanderkleben erinnert stark an den "Würgeengel" (2003), wo eine illustre Menschengruppe einem nicht existierenden Aufbruchsverbot gehorcht. Bei ihrem neuen Werk scheint Reza nur noch sich selbst zu kopieren, nur eben schlechter.

 

Die Dialoge sind die Handlungen

Was passiert eigentlich? Eine Sexszene im Klo, wo Boris ausgehungert über Andrea herfällt, Restaurantszenen und viele Streitereien, die ins Handgreifliche ausarten. Das Stück ist ausgesprochen handlungsarm, es sei denn, man betrachtet die teilweise mit Gift durchtränkten Dialoge auch als Handlung. Wenn so ausgiebig debattiert wird, müssen die Dialoge spritzig, feinschnittig und pointenreich sein. Rezas Zynismus ist allerdings stumpf, vor allem enthält er, von Ausnahmen abgesehen, keinen Humor. Was sich als Beobachtungsschärfe geriert, bleibt nur an der Oberfläche haften. Es ist nicht so, dass Reza über eine besonders tief gehende Mittelstandspsychologie verfügt, die alles ansonsten Verborgene ins Licht zieht. Die ist eine Kunst des Ausbreitens, nicht der Entlarvung. Ein solches Drama verlangt geradezu nach schauspielerischen Höchstleistungen, sonst ist es verloren. Und so kommt es, dass Ostermeier und sein dünnes Ensemble die Inszenierung gerade noch zur Mittelmäßigkeit emporhieven können – mehr ist nicht drin.

 

Nina Hoss, Mark Waschke

© Arno Declair

 

Aufdrehende Schauspieler

Auch diesmal eine starke Nina Hoss, ohne Zweifel. Sie spielt souverän ihr Repertoire an schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten herunter, erreicht auch die feinen gestischen Facetten, aber sie wirkt "wie immer", als zeige sie nur ihr exzellent beherrschtes Handwerk, ohne einen Sprung in unbekannte Gefilde zu wagen. Mark Waschke dagegen spielt ihren eher blassen Liebhaber, der kurz vorm finanziellen Bankrott steht und sich wiederholt aufs Jammern verlegt. Eine fast misanthropische Welthaltung ist bei Stefanie Eidt zu beobachten, die von dem dahergelaufenen Paar so gut wie nichts hält. Und Lore Stefanek (Yvonne), zwischen Grenzdebilität und wachen Momenten oszillierend, beweist, dass Senilität auch mit Charme einhergehen kann. Die Zuschauer vermissen unter Umständen Pappelbaums dreisitzige, therapeutisch nutzbare Diskussionscouch, die diesmal zu einer individuelleren, kleineren Sitzgruppe zusammengeschrumpft ist. Ein Aquarium wie in "Nora" steht auch da: Beinahe wünscht man sich, dass Nina Hoss ähnlich wie Anne Tismer damals ins kalte Wasser springt. Trotz der Durchwachsenheit des Abends gibt es auch etwas ausgesprochen Positives zu berichten. Wegen des Soundtracks sollte man Ostermeier irgendeinen kleinen Kulturorden überreichen. Die eingespielte Musik ist grandios, vor allem die beiden Songs von der Deutschrockgruppe Can. Cans "Paperhouse" in solch einer Inszenierung ist einfach wundervoll.

Bella Figura
von Yasmina Reza

übersetzt von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Florence von Gerkan, Musik: Malte Beckenbach, Video: Guillaume Cailleau, Benjamin Krieg, Dramaturgie: Florian Borchmeyer.
Mit: Mark Waschke, Stephanie Eidt, Nina Hoss, Renato Schuch, Lore Stefanek.

Schaubühne Berlin

Uraufführung vom 16. Mai 2015
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

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