Schaubühne Berlin: Kritik von "Borgen" – Nicolas Stemann
Premiere. Der Regisseur Stemann bringt die dänische Polit-Serie auf die Bühne. Ein Mehrwert entsteht dadurch allerdings nicht.Stephanie Eidt, nachdenklich und mit Beinen (Bild: © Arno Declair)
Öffentliche Größe und private Abgründe
Borgen, das ist umgangssprachlich das Schloss Christiansborg, Hauptquartier des Parlaments. So wie die Bühne (Katrin Nottrodt) gestaltet ist, handelt es sich um etwas Unfertiges, Provisorisches, ja um eine Experimentierstätte. Keine exklusive Pappelbaum-Diskutiercouch, nur ein geschmackloses orangenfarbenes Ledersofa, auf dem Stephanie Eidt als Nyborg nicht selten mit ihrem Unterhemd tragenden Gatten Philipp (Sebastian Rudolph) herumknutscht. Ansonsten stehen Monitore herum, Teleprompter zum Ablesen des Bühnentextes, Stühle und eine langer Tisch für die in die Szenerie eingreifende Statisterie. Birgittes Zärtlichkeitsaufwallungen sind limitiert und halten sich in Grenzen, berufsbedingt fordert sie von ihrem Mann Gefolgschaft, genauer: Einen Rücktritt von einem lukrativen Wirtschaftsposten. Schließlich dient er auch zu Repräsentationszwecken, und Philipp, der mitunter den Eindruck erweckt, als könne er nicht bis zehn zählen, kuscht. Die Kinder Laura und Magnus (Regine Zimmermann und Tilman Strauß) sind etwas aufsässig, Laura wird vor der Zeit von Panikattacken heimgesucht. Die Ehe scheitert letztlich an den zu hohen Ansprüchen – private Abgründe, die normalerweise unter der Oberfläche bleiben.
Sebastian Rudolph, Stephanie Eidt
© Arno Declair
Ein Medienberater im Hintergrund zieht zweifelhafte Fäden
Entlarvt wird hier allerdings gar nichts. Dass das dänische Original keine exakte Widerspiegelung von Realität ist, wusste man auch schon vorher. Stemann sorgt nur für eine Perpetuierung des realitätsgierigen Märchens mit theatralischen Mitteln. Die lange Inszenierung (225 Minuten) plätschert dahin als reine Unterhaltungsindustrie, die man konsumgewöhnt en passant mitnehmen kann, ohne vom Stachel der Erkenntnis berührt zu werden. Immerhin beweist Stephanie Eidt, dass man auch als Politikerin gut aussehen kann und Angela Merkel - und vom Tagewerk verschlissene Kolleginnen - in optischer Hinsicht zu übertrumpfen vermag. Einen Spin-Doctor gibt es auch, mit wesentlich weitreichenderen Kompetenzen als beispielsweise Olaf Glaeseker, der mit fragwürdigem Charme den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff unterstützte. Der im Hintergrund agierende Spin-Doctor Kasper Juul ist Medien- und Imageberater und fördert mit feinnervigen und plumpen Mechanismen die Inszenierung von Politik. Dabei wirkt Birgitte Nyborg noch relativ bodenständig, sie ist kein kalter Chef-Apparatschik in der kühl kalkulierenden parlamentarischen Nomenklatura, die unersättlich mit ihren Fühlhörnern ins Wählerdepot hineinlangt.
Ein buntes Mischmasch zur informativen Zerstreuung
Selbstverständlich weiß auch Stemann die herausragende Rolle der Medien hervorzuheben. Zum einen ist der überaktive Fernsehsender TV 1 dauerpräsent, zum anderen begleitet die Zeitung Ekspress beinahe jeden Schritt der machtbesessenen Volksvertreter. Regine Zimmermann spielt mit übergestülpter Blondhaar-Perücke eine hypertrophe Journalistin, die ständig unter Speed zu stehen scheint, um die Macht der vierten Macht zu unterstreichen. Der amphetaminerfüllte Abend ist eine Soße mit unzähligen Ingredienzien, ein Brei, der wegen zu vieler Köche kurz vor der Verderblichkeitsgrenze steht: Es herrscht Brecht-Liederstimmung, und auch die Wirtschaft mischt gewaltig mit und macht ihren (monetären) Einfluss geltend. Aktuelle Themen bieten sich förmlich an, etwa die humane Haltung zur Flüchtlingskrise, Guantanamo-Häftlinge und die üblichen Streitereien um den Haushalt. Und auch die übernommene, ja abgelutschte Form von yes, we can: Wir schaffen es. Dazu flackern dänische und deutsche Flaggen, als befinde man sich bei einem Repräsentationstreffen zur Mobilisierung der schlaff gewordenen Massen. Gelegentlich ist auch Zeit für etwas Komik, denn kasperhafte Extravaganzen des Ensembles dürfen nicht fehlen. Einmal steht jemand aus der Statisterie auf einem Podest, gekleidet als bizarrer Vorgartenzwerg oder Waldschrat. Das Intellektuellen-Duo Stemann/Stegemann hat trotz aller theoretischen Voraberklärungen einen Abend geschaffen, der weder sticht noch beißt. Es ist so harmlos wie vor dem Fernseher – eine hinnehmbare Unterhaltung zur phantasiefreien Berieselung.
Borgen
Nach der TV-Serie von Adam Price.
Entwickelt mit Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm
Deutsch von Astrid Kollex, Fassung von Nicolas Stemann
Regie: Nicolas Stemann, Bühne: Katrin Nottrodt, Kostüme: Katrin Wolfermann, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video: Claudia Lehmann, Dramaturgie: Bernd Stegemann, Bettina Ehrlich.
Mit: Tilman Strauß, Stephanie Eidt, Regine Zimmermann, Sebastian Rudolph.
Statisterie: Malik Smith, Hauke Petersen, Philip Schwingenstein, Daniel Ahl, Steven Raabe, Benjamin Scharweit, Fabrice Riese, Frank Jendrzytza.
Schaubühne Berlin
Premiere vom 14. Januar 2016
Dauer: 3 Stunden 45 Minuten, zwei Pausen
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)