Mit der Nase gegen die Scheibe: ...

Mit der Nase gegen die Scheibe: Felix Römer (Bild: © Thomas Aurin)

Die Gebärden erhöhen die Wucht der Worte

Ganz auf sich allein gestellt, hat Felix Römer ausreichend Gelegenheit, ein komplexes Gebärdenspiel zu entfalten, das keine nonverbale Kommunikation ist, sondern die Wucht seiner Worte – teilweise überzeichnet – begleitet und intensiviert. Während er sich auf dem Stuhl bewegt und hastig gestikuliert, wird sein schütteres Haupthaar emporgeweht: Die dünn besiedelte feine Schicht reagiert wie unter einem Ruck oder Windstoß. Mal ist Römers Unterlippe vorgeschoben, mal ist die Stirn düster umwölkt, bis er sich zu einem kontrollierten Grimassieren hinreißen lässt. Die Frau ist nur präsent durch an die Wand projizierte Bilder, die Römer mit zurückgekämmtem Haar als weibliches Studienobjekt zeigen, das allerdings noch relativ unangegriffen und kaum verbraucht aussieht. Zu Beginn greift Römer zu einem Kassettenrecorder und erzeugt mit einem dagegen gepressten Mikrofon schrille, kratzende Geräusche, die klassische Musik übertönen, ja konterkarieren. Eine beißende Kakophonie, abgelöst durch einen Ausschnitt aus alten Aufnahmen. Er spult immer wieder zurück, es ist wie eine Schallplatte, deren Nadel hängt und die sich fortwährend auf der selben Stelle dreht.

 

Der Weg in die Auflösung

Ständiges Kreisen um den Stuhl

© Thomas Aurin

 

Die Praxis seiner Gehörproben läuft folgendermaßen ab: Konrad spricht einzelne Laute, Wörter oder ganze Sätze mit einem bestimmten Vokal in ihr Ohr, und das mit unterschiedlicher Lautstärke und in unterschiedlicher Betonung. Kurz angerissene, vorgestoßene und gedehnte Laute, der Triumph der Urbantschitschen Methode. Entfesselt läuft Römer auf der Bühne herum, wie ein hochgepuschter Medizinmann, der die Worte körperlich Worte lässt. Sie tanzen nicht, sie ersticken eher, prasseln hernieder wie ein Presslufthammer. Ein Martyrium wird hervorgerufen, Konvulsionen des Geistes. Konrad/Römer zieht die Gattin in die eigene Hölle herab, er führt ein System von Belohnung und Bestrafung ein, je nachdem, wie die Malträtierte reagiert. Was als wissenschaftliche Errungenschaft geplant ist – das Gehör ist ihm das philosophischste Sinnesorgan -, wird zur Auflösung, gar zur Selbstvernichtung.

 

Wie ein paniertes Schnitzel

Nach Jahrzehnten unermüdlichen Trainings ist noch kein einziges Wort über die Studie niedergeschrieben, immer wenn der günstigste Augenblick für die Niederschrift gekommen scheint, sind seine Gedanken plötzlich leer. Die Gattin hat eine ebenso obsessive Leidenschaft, sie strickt unablässig Fäustlinge, dreht sie wieder auf und strickt neue, nur um ihn zu ärgern. Die gegenseitige Manie wächst an und führt, ausgelöst durch den selbstgewählten Kerker, zu Stumpfsinn und Akustikwahn. Aufgezogen wie ein Kreisel hüpft Römer auf der Bühne herum und greift einige Wörter seiner Gattin heraus, zum Beispiel Faschingsball. Ja, früher, vor dem fatalen Erwerb des Kalkwerks, sind sie oft auf Bälle gegangen. Er wirft sich in eine Ladung Mehl und taucht den Körper in eine klebrige Brühe. Überzogen mit einer teigigen Masse hat er sich selbst paniert, er ist ein materialisiertes Wiener Schnitzel, bestehend aus einer Hülle mit Weizenmehl, Semmelbrösel und Ei. Der Pseudo-Wissenschaftler degeneriert endgültig zu einem paranoiden Kasper. Insgesamt zeugt Römer eine beachtliche Leistung, schließlich muss er ja den Text mit Leben füllen. Schade nur, dass Regisseur Preuss einige prägnante und originelle Passagen aus dem Buch gestrichen hat.

Das Kalkwerk

von Thomas Bernhard

nach dem gleichnamigen Roman in einer Bühnenfassung von Philipp Preuss

Mit: Felix Römer

Regie: Philipp Preuss, Bühne und Kostüme: Ramallah Aubrecht, Dramaturgie: Maja Zade.

Schaubühne Berlin, Studio

Premiere vom 15. September 2014

Dauer: 1 Stunde, 15 Minuten

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