Renato Schuch, Ulrich Hoppe, Peter ...

Renato Schuch, Ulrich Hoppe, Peter Moltzen, Jule Böwe, Regine Zimmermann (Bild: © Katrin Ribbe)

Was oben reinläuft, kommt aus allen Öffnungen wieder heraus

Der auf der Bühne (Olaf Altmann) stehende Kachelkasten erzeugt einen grausigen, ja klaustrophobischen Hochdruck. Der Duschraum eines Kleinvereins, von dem man alle körperpflegenden Requisiten entfernt hat. Hervorragend geeignet für Schattenwürfe und Kunstblut-Schmierereien. Die Schauspieler*innen drängen sich in der Beengtheit zusammen und simulieren dadurch Gruppenzusammenhalt, der aber in Wahrheit durch individuelle Strebungen konterkariert wird. Kaum nimmt Argan einen vermuteten Heiltrunk zu sich, schon kotzt er ihn wieder aus. Nach Herzenslust herumfurzend, kümmert er sich nicht um seine Umgebung – und Thalheimer kümmert sich nicht um sein Publikum. Nachdem die Zuschauer*innen glauben, das Schlimmste sei vorerst überstanden, hält des Familienoberhaupt triumphal eine mit Fäkalien beschmierte Windel hoch. Und seine Dienerin Toinette (Regine Zimmermann) wedelt damit herum und riecht daran, als handele es sich um einen balsamischen Duft. Falsche Exkremente, klebrige, als Heilsäfte fungierende Brühen und penetrantes Chargieren: Das ist diesmal das Rezept des Regisseurs, der irgendetwas damit entlarven wollte, vielleicht die moralische Degneriertheit einer solchen Gesellschaftsschicht. Nur: Skelettiert hat er gar nichts. Er hat vielmehr das (Dramen-)Skelett mit überflüssigen Fettpolstern angereichert, wie, bildlich exemplifiziert, bei Argans ausgestopfter Hodenregion, die die größten Eier der Welt vortäuscht. Immerhin kommt es zu intervallartigen, eher zarten Publikumsreaktionen: Es wird auch gelacht. Kleine Zwischenerfolge für Thalheimer, sofern er dem Publikum das Lachen nicht austreiben möchte.

 

Peter Moltzen, Jule Böwe

© Katrin Ribbe

 

Schmierige Komödianten im Lebens- und Todeskampf

Zur Enttäuschung von eingefleischten Werktreuen hat Tahlheimer den Hauptarzt Purgon weggelassen. Übrig bleiben die Ärzte Diafoirus (Ulrich Hoppe) und sein von einem nervösen Augenzucken geplagter Doktoren-Filius (Renato Schuch), den Argans Tochter Angélique (Alina Stiegler) heiraten soll. Aus schlichten finanziellen Einsparungsgründen: Damit es wenigstens einen Heilkünstler in der Familie gibt. Ulrich Hoppe, der nichts anderes als Komödie kann, macht ein ensprechend dämlich-serviles Gesicht mit einem verzerrten Einschlag der höfischen Umgangsformen. Ohne Zweifel, diese Ärzte sind geldgierige, Argan finanziell ausnehmende Vollpfosten in einer Reihe von Vollpfosten, mit Ausnahme von Jule Böwes Béline. Obwohl ebenfalls überzeichnet spielend, ist sie noch die seriöseste Figur, die es nur auf das Erbe ihres Gatten Argan abgesehen hat. Der hat übrigens einen Bruder (KB Schultze), dem es noch viel dreckiger geht und der deshalb dem ungewollten Club der Moribunden zuzurechnen ist: Der Körper des Bruders ist fast vollständig eingegipst, darunter fließt eine Blutlache. Ein noch forcierterer Agonie-Kampf in einer Inszenierung, die den Zusammenbruch nicht nur ankündigt, sondern zelebriert. Selten hat in einer Inszenierung der Inhalt eine solch geringe Rolle gespielt. Thalheimer, der schon Kostüme (Michaela Barth) zum Abgewöhnen präsentiert, liefert überhaupt keine Botschaft, auch keine versteckte, und verbreitet ein vollkommens Desaster, als liege darin ein gewisser Genuss. Und so kommt es, dass im Wettbewerb der Kaputten, in der destruktiven Komödie die Komödie ausgetrieben wird und das Ganze einen deutlichen Zug ins Tragische nimmt. Das ist also Tahlheimers geistiges Vermächtnis: Seine finales Werk für die Schaubühne ist sein schlechtestes. Und es waren gute dabei.

 

Der eingebildete Kranke
von Molière
Deutsch von Hans Weigel
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Olaf Altman, Kostüme: Michaela Barth, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Norman Plathe.

Es spielen: Jule Böwe, Regine Zimmermann, Peter Moltzen, Renato Schuch, Alina Stiegler, Iris Becher, Ulrich Hoppe, Kay Bartholomäus Schulze, Felix Römer.

Schaubühne Berlin, Premiere vom 18. Januar 2017.
Dauer: 110 Minuten, keine Pause

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