Felix Römer, Bernardo Arias Porras ...

Felix Römer, Bernardo Arias Porras, Iris Becher (Bild: © Thomas Aurin)

Zeit spielt keine Rolle mehr

Es ist nicht so, dass sich Preuss nichts dabei gedacht hätte. Seine Bühnenbildnerin Ramallah Aubrecht hat eine Neonröhren-Atmosphäre geschaffen – bis auf die vierte Wand sind sie überall platziert -, um gleißendes Licht zu insinuieren. An der Bühnenwand ist ein kleiner Durchgang, der Einlass gibt in einen Knast, wo der Täter nach der Vollstreckung einsitzt. Aus unerfindlichen Gründen trägt das Mini-Ensemble (Felix Römer, Bernardo Arias Porras, Iris Becher) graue, krawattengestärkte Anzüge, die weder zu Ambiente noch Thema passen. Die Schauspieler*innen wechseln ihre Figuren unausgesetzt, niemand ist auf eine Rolle fixiert, alles verfließt. Der Text ohnehin, irgendeine Art von Chronologie gibt es nicht, die Szenenreihenfolge ist willkürlich, als sei sie zuvor ausgelost worden. Wer den Roman und Viscontis Verfilmung kennt, die selbst noch in den 80er-Jahren "existentialistische" Grundausstattung war (es existiert keine DVD, eine unscharfe Version gibt es auf youtube), der mag sich nur über des Regisseurs Verfahrensweise wundern. Er zersplittert alles in Einzelszenen, bis nur noch Brocken daliegen, die als erratische Bausteine ihr Eigenleben führen. Und so steht die Inszenierung dann da, ohne Bodensatz, ohne Sockel, ohne Linie, es sei denn, man betrachtet die Phantasie und das Gemüt bewegende Splitter als schwungvolle Erneuerung, als Revitalisierung des von Erschlaffung bedrohten Theaterbetriebs.

 

Wie Leichen liegen sie da

© Thomas Aurin

 

Gleichgültigkeit ohne Zärtlichkeit

Ein offenkundiges Anliegen war es trotzdem, möglichst viel dessen, was im Roman steht, irgendwie in das Bühnenwerk hineinzupacken. Die – gleichgültig hingenommene – Beerdigung von Mersaults Mama ist dabei, der im Haus wohnenende Fast-Zuhälter Raymond, der seine Partnerin aus "Zärtlichkeit" misshandelt, und auch ein angegreister Nachbar, der seine einzige Empathie für seinen kranken, kümmerlichen, das Fell verlierenden Hund aufwendet. Und natürlich ein irdischer Vertreter des heiligen Stuhls, als eine Art Kasper fungierend, und ein unermüdlicher Richter. Verwunderlich ist, dass die existentielle Gleichgültigkeit des Anti-Helden etwas unterbelichtet dargestellt wird. Das liegt auch an den Schauspieler*innen, die mit ihrer aktionsreichen Zappeligkeit und Virtuosiät zuweilen Dynamik signalisieren. An ihnen liegt es bestimmt nicht, dass die Premiere fulminant scheitert. Vor allem der altgediente Felix Römer liefert eine grandiose Leistung ab. Typisch für ihn sind die verengten Augen und ein überschwappender Mund, der an einen Frosch beim Appetenzverhalten erinnert. Aber die gut aufgelegten Schauspieler*innen – zuweilen ein ästhetisches Vergnügen - können die Inszenierung nicht retten.

Der Fremde
von Albert Camus
Deutsch von Uli Aumüller
Regie: Philipp Preuss, Bühne und Kostüme: Ramallah Aubrecht, Dramaturgie: Bettina Ehrlich.
Mit: Felix Römer, Bernardo Arias Porras, Iris Becher.
Dauer: 90 Minuten, keine Pause

Schaubühne Berlin, Studio, Premiere vom 13. November 2016

 

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