Jule Böwe

Jule Böwe (Bild: © Dorothea Tuch)

Verschiedene Gesichter

Die Inszenierung bewegt sich auf verschiedenen Zeitebenen, die nicht chronologisch behandelt werden. Zeitlich zuerst kommt das Entbrennen der Liebe, dann ein feierlich anmutender Spaziergang auf dem Kudamm, mündend in einen trennungsbedingten Selbstmord Ritas. Schließlich sehen sie sich 30 Jahre später wieder, weder desillusioniert noch geläutert. Bei all diesen "Verwandlungen" zeigt Jule Böwe als Rita ihr verschiedenen Gesichter, die sie je nach Situation unterschiedlich modelliert. Beim Wiedersehen nach dem Fall der Mauer gleicht ihr Antlitz dem einer reifen, leicht abgetakelten Matrone, die über ihr vergangenes Leben räsoniert. Virile Spuren hängen in ihrem Gesicht, Falten und etwas Erschöpfung. Im frühen Stadium der Liebe hingegen verleiht sie ihrem Gesicht eine jugendliche Frische, die mit verlockenden Reizen gesättigt ist und Manfred offensichtlich betört. Während des Krankenhausaufenthalts hält sich die gut aufgelegte Jule Böwe entgegen ihrer Gewohnheit zurück, es kommt nicht zu einem anfallartigen Gekrähe. Eine teigige Masse quillt über die Backen und scheint den Rekonvaleszenzblick zu verengen.

 

Tilman Strauß, Jule Böwe, Kay Bartholomäus Schulze

© Dorothea Tuch

 

Videos erzeugen Atmosphäre

Gespielt wird auf einem Catwalk, der die Bühne durchschneidet und die Zuschauer in zwei Hälften trennt. Der Einfall ist nicht neu, aber hier ist die Trennung von Ost und West besonders augenfällig. Zu Beginn begeben sich Jule Böwe, Tilman Strauß inklusive KB Schulze auf die lange Laufbahn, um eimerweise glänzende mineralische Kristalle auf dem Boden auszustreuen. Die Zuschauer sehen die Kombattanten, wie sie mit dem Pressluftbohrer hantieren und Löcher in den Grund stechen. Hier handelt es sich um die Arbeit in einem Waggonbauwerk, die der Regisseur Armin Petras zur Veranschaulichung des werktätigen Alltags einbaut. Das geschieht teilweise bei Tageshelligkeit, die mitunter ruckartig in ein gedämpftes Schummerlicht übergeht. Nun ergreifen Videos von allen Wänden des Saals Besitz und schaffen das, worauf es dem Stuttgarter Intendanten vor allen ankommt: Atmosphäre. Die Bilder, manchmal live hinter der Bühne gedreht, sind ohne Zweifel Stimmungserzeuger, die ins Gemüt hineinlangen sollen, dort wo die zarteren, empfänglicheren Sinne liegen. Stattdessen verzichtet Petras diesmal auf massenkompatible Effekte, theatralische Verbrämungen und spektakuläre Banalitäten.

 

KB Schulze, Jule Böwe

© Dorothea Tuch

 

Die Anspannung aller Kräfte

Tilman Strauß' Figur Manfred haftet eine gewisse Unbeschwertheit an, und wenn er zuweilen verschmitzt lächelt, erinnert er an den jungen Harald Schmidt. Nur ist er kein Bruder Leichtfuß, sondern ein Tatsachenmensch, der sich schwer tut mit Weltanschauungen. In dem Maße, wie sein Glauben am Sozialismus abnimmt, steigert sich Rita in diese Ideologie hinein. Die Marxschen Theorien beginnen in ihr Wurzel zu fassen, sie ist zunehmend vom Aufbruch überzeugt, ja vom zu errichtenden Paradies, das bereits in der frühen Entwicklungsphase zum Glück verpflichtet. Es ist sozusagen ein vorgefasstes Glücksgefühl, ein Vorglück, und der Arzt (KB Schulze), der im Krankenhaus nicht nur ihren Körper wiederaufzurichten sich bemüht, bestärkt sie darin. Die Frage ist nur: Warum unternimmt Rita einen Selbstmordversuch, obwohl sie doch von der Richtigkeit der Trennung überzeugt ist und ihr Leben dem Sozialismus zu weihen sich entschließt? Einem Sozialismus, der, wie Christa Wolf in einem Interview betonte, die Anspannung aller Kräfte erfordert. Die Idee ist anscheinend stärker als die Liebe, doch die Trennung ist wider Erwarten dermaßen gewaltig, dass ihr Herz und ihre Tatkraft auf der Strecke bleiben. Noch fragwürdiger ist Ritas Feststellung, dass sie ihn liebt, aber genau deshalb im Osten bleiben möchte. Armin Petras stellt die These in den Raum, aber warum sie da steht, wissen wohl nur die Götter. Diese reduzierte Inszenierung macht nicht unbedingt glücklich, hat aber einige gelungene Passagen, Licht und Schatten eben.

Der geteilte Himmel
von Christa Wolf

Bühnenfassung von Armin Petras
Regie: Armin Petras, Bühne und Kostüme: Annette Riedel, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video: Rebecca Riedel, Mieke Ulfig, Dramaturgie: Maja Zade, Licht: Norman Plathe.
Mit: Tilman Strauß, Jule Böwe, Kay Bartholomäus Schulze.

Schaubühne Berlin

Premiere am 13. Januar 2015
Dauer: ca. 100 Minuten, keine Pause

 

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