(Bild: Michiel Devijver)

Hohe Arbeitslosigkeit, zu viele Gabelstaplerfahrer

Zu Beginn lässt Milo Rau eine Menge biografischer Einzelheiten auffahren. Wir hören von der pensionierten Hundebetreuerin Suzy Cocco einiges Privates, und auf die Frage, ob sie sich nackt präsentieren wolle, antwortet sie lakonisch: "Ich bin 67". Wir hören aber noch mehr. Infolge der desaströsen Werkschließungen landen viele Arbeiter in der Arbeitslosigkeit, mit der Folge, dass jeder Zweite einen Gabelstapler-Führerschein macht – was zu einer Branchen-Überschwemmung führt. Das Ganze wird übrigens auch bildlich dargestellt: Als Illustration eines Gabelstaplers fährt ein Arbeiter mit einem "Lagerauto" über die Bühne. Nachdem die halbdokumentarischen biografischen Enthüllungen abgeschlossen sind, beginnt der praktische Teil, das Spieltheater beginnt. Ihsane Jarvi (Tom Adjibi) spricht mit einigen Leuten vor einem Homosexuellen-Club und setzt sich in ihr Auto. Das Verhängnisvolle ist, dass er alle für schwul hält und von Ablutschen redet. Im Zuge der Fahrt bekommt er wiederholt die Fresse poliert, er wird lädiert in einen Kofferraum gesperrt, anschließend malträtiert und dann, als er längst tot ist, mit Urin übergossen, um ihn noch toter zu machen. Eine subtile Darstellung menschlicher Rabiatität mit beinahe filmischer Souveränität. Die Szene wird gespielt und ist, gemäß bekannter Theatermechanismen, gleichzeitig auf der Leinwand zu sehen, wie vieles andere auch.

 

Ein seltenes Phänomen: Geknutscht wird auch

© Hubert Amiel

 

 

Das Publikum soll mitdenken

Milo Rau, der einen hohen geistigen Anspruch erhebt, hat für seine Arbeiten einen theoretischen Überbau geschaffen, wie das alles aufzufassen sei. Der ist überflüssig, letztlich legt er nur sein Werk vor und die Kritiker und das Publikum legen ihr Urteil ab, weitab von den Gedanken eines Meta-Theaters oder gar eines Seminars. Denkstoff erhält man ohnehin zur Genüge und das interessierte Auge reicht. Mit den Filmen von Ken Loach hat dieses Theater rein gar nichts zu schaffen, auch wenn hier auf die Situationen der in Außenbezirke abgeschobenen Randständigen aufmerksam gemacht wird. Das Volkskollektiv ist für derartige Untaten nicht in die Verantwortung zu ziehen und selbstverständlich konsumiert das bildungserprobte Publikum nur, ohne einzugreifen – die Reflexionen, sofern sie überhaupt stattfinden, beginnen hinterher. Diese Inszenierung ist eine Melange aus biografischer Dokumentation und Aktionstheater, wobei Rau auch einen Akzent auf nachkommentierende Bemerkungen setzt (Sara De Bosschere), zum Zweck der Erhellung. Natürlich wechseln alle Schauspieler*innen permanent ihre Rollen, damit keine Rollenidentifikation aufkommt: Jeder könnte Opfer oder Täter sein – und schnell ist die gesamte Gesellschaft schuld. Immerhin lässt dieses Theater einen nicht unberührt und trotz der zuweilen aufflackernden Belanglosigkeit und Mediokrität ist es allemal goutierbar. An die starken Momente wird man sich erinnern.

 

Die Wiederholung.
von Milo Rau und Ensemble
Regie: Milo Rau, Bühne und Kostüme: Anton Lukas, Musik, Sounddesign: Jens Baudisch, Video: Maxime Jennes, Dimitri Petkovic, Dramaturgie und Recherche: Eva-Maria Bertschy, Dramaturgische Mitarbeit: Stefan Bläske, Carmen Hornbostel.
Mit: Tom Adjibi, Sara De Bosschere, Johan Leysen, Suzy Cocco, Sébastien Foucault, Fabian Leenders.

Schaubühne Berlin, Deutschlandpremiere vom 1. September 2018.
Dauer: 100 Minuten, keine Pause

 

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