Theater und Fußball prallen aufeinander

Theater und Fußball prallen aufeinander (Bild: © Kris Dewitte)

Schöngeistige Literatur und Fußballultras

Die Aufführung findet im Studio statt. Das ist eine zu wenig genutzte Nebenspielstätte, die vor etlichen Jahren den Musikclub Far Out beherbergte und von Bhagwan Shree Rajneesh huldigenden Post-Sannyasins betrieben wurde. Manch ein Theater der Freien Szene wäre froh, sie hätte solch einen Veranstaltungsort. Die Inszenierung der balkanischen Regisseurin Sanja Mitrović wirkt dann auch etwas Off-mäßig, sehr experimentell und gar – wegen der gewagten Interaktion zwischen zwei Lebenswelten – avantgardistisch. Hier prallen an die Videoleinwand projizierte Zitate von Shakespeare, Brecht, Racine und Tschechow auf plumpen Torhunger und Mittelstürmerrasereien. Die hehre, sprachlich arg altertümelnde Dramenliteratur wird nachgesprochen und gleitet ab in einen behelfsmäßigen Singsang, übrigens auch bei den Bühnendilettanten. Es wehen Fahnen und Farben auf der Bühne. Nicht nur die Vereinsfarben, auch rot-weiße Kombinationen und die französischen Farben. Man klammert sich an die Flaggen oder sitzt auf ihnen herum. Das Treiben auf der Bühne wird durch Livekameras eingefangen und ist auf Großformat zu beobachten. Am bunten Fahnenstoff wird gerissen und gezerrt, als verspreche er eine Heimat, dazwischen werden Tiermasken aufgesetzt und die Haare wie bei beim Headbanging geschüttelt. Man steht zuweilen unter Strom.

 

Geld ist nur etwas für die Reichen

Zumindest auf der Bühne kommen die Fußballdarsteller nicht fremdenfeindlich und vorurteilsbelastet daher. Was sie sympathisch macht: Sie lehnen die ans Astronomische grenzende Geldmacherei im nationalen und internationalen Fußballgroßsport rigoros ab. Ihr in der dritten belgischen Liga angesiedelter Club ist für sie eine Ersatz-Religion, die die Aufgeregtheiten des politischen Weltbetriebs erfolgreich verdrängt und Freundschaftsgarantie verspricht, auf Gedeih und Verderb. Die professionellen Schauspieler*innen indes haben Größeres im Sinn, den globalen Überblick zum Beispiel. Sie konfrontieren die Ballfreaks mit politischen Tageaktualitäten und Geschichte, etwa die belgische Kolonie Kongo, König Leopold II. und die gegenwärtigen Terroraktionen. Zur Sprache gebracht wird auch, dass nordafrikanische Migranten ins belgische Sozialsystem einwandern, und wenn sich aufgeregte Einheimische dagegen beschweren, wird das als Rassismus angeprangert. Ob das Ironie oder objektive Bestandsaufnahme ist, wird nicht ersichtlich. Und: Ein Theaterakteur hat die Befürchtung, dass Frankreich angesichts der IS-Anschläge in den Faschismus abdriften könnte. Das sind normalerweise Ängste, die einen fanatischen Fußballfan nicht so sehr berühren. Immerhin gelingt es der Regisseurin, eine vorübergehende Harmonie zweier konträrer Lebensbereiche zu schmieden. Der Zuschauer hat den Eindruck, hier präsentiert sich vorübergehend eine zusammengeschweißte Gruppe. Am Ende werden Fangfragen gestellt, an die sich ein westdeutscher Wehrdienstverweigerer aus den 80er-Jahren, der sich einem unliebsamen staatlichen Beamtenverhör ausgesetzt sah, noch lebhaft erinnern kann. Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause und Ihre Gattin wird gerade vergewaltigt und Sie als unerschütterlicher Pazifist haben eine Waffe in der Hand. Was würden Sie tun? Derartige und ähnliche Fragen werden den Union Bhoys, die es mit der großen Privatliebe nicht so sehr haben, gestellt. Natürlich geben sie ausweichende Fragen, das ist auch das cleverste. Insgesamt hat Sanja Mitrović furchtbar viel in diese Arbeit hineingepackt. Es ist arg viel. Und huch, es kommt trotzdem eine manchmal derb-schlichte, aber dennoch vielseitige und erkenntnisreiche Inszenierung zustande.

Do You Still Love Me?

Regie: Sanja Mitrovic, Dramaturgie: Jorge Palinhos, Kostüme: Frédérick Denis, Sound: Vladimir Rakic, Kamera und Videodesign: Sanja Mitrovic, Licht: Stéphane Lebonvallet, Produktion und Tourmanagement: Liesbeth Stas

Mit: Servane Ducorps, Cédric Eeckhout, Ina Geerts, Sid van Oerle & Kostas Pericaud, Dominique Piron, Sam De Leener, Gregory Uytterhaegen (Anhänger des Fußballvereins Royale Union Saint-Gilloise)

Schaubühne Berlin, Studio

Aufführung vom 11. April 2016

Dauer: ca. 2 Stunden, keine Pause

 

Laden ...
Fehler!