Schaubühne Berlin: Kritik von "Italienische Nacht" - Thomas Ostermeier
Premiere. Ein Fest der Sozialdemokraten wird von nationalen Kräften empfindlich gestört. Anstatt sich zu einem Bollwerk zusammenzuballen, zerlegen sich die "Republikaner" selbst.Juri Padel, Andrej Reimann, Konrad Singer, Benjamin Schröder, Hans-Jochen Wagner, Martin Klingeberg, Sebastian Schwarz, Johannes Flaschberger (Bild: © Arno Declair)
David Ruland, Inga Wolff
© Arno Declair
Braver Familienonkel mit gnadenloser Autorität
Der in Personalunion amtierende Intendant und Regisseur Thomas Ostermeier versucht sichtlich, das Stück zu aktualisieren und Anlehnungen an die heutige Zeit herauszukristallisieren. Es finden sich wiederholt Einsprengsel, die von Akteuren der AFD und der derzeitigen Sozialdemokraten stammen könnten. Auf der Bühne sehen wir das Interieur einer Kaschemme, wo ein ganzes Arsenal an Geschmacklosigkeiten aufgeboten wird. Das urwüchsige Ambiente ist sehr rustikal, es gibt Holz zuhauf, Geweihe auch, Bierwerbung, einen Vorhang aus Uromas Zeiten und einen Spielautomaten. Umgeben von aufgehängten Bändern in den italienischen Nationalfarben sorgt eine Schlagerband für die musikalische Begleitung. Das Problem ist nur, dass draußen, in unmittelbarer Nähe ein lärmendes rechtsradikales Rockkonzert stattfindet. Der brüllende nationale Widerstand hat sich zusammengerottet und skandiert Parolen. Der Stadtrat (Hans-Jochen Wagner) ist eine Mischung aus braver Familienonkel, Kollegialität und gnadenloser Autorität. Er ist der Boss und Macher, ganz klar, das bekommt auch seine Frau Adele (Marie Burchard) zu spüren, die er gewohnheitsmäßig verbal drangsaliert, als sei sie ein zu bändigender Straßenköter. Wagner spielt die Kombination aus gelassener, menschenfreundlicher Jovialität und Herrschsucht vorzüglich, zumal er sich Handlungen herausnimmt, die er anderen nicht gestattet. Der Werktätige Martin (Sebastian Schwarz) ist vom linken Flügel, hat ebenfalls kaum niederzuhaltende Machtgelüste und schickt aus Ausspionierungsgründen seine Partnerin Anna (Alina Stiegler) zum politischen Gegner. Sie kommt zurück, im Gepäck eine überstandene Halbvergewaltigung und spärliche Informationen, auch darüber, dass die muntere Zusammenkunft gesprengt werden soll.
Selbstzerfleischung der Republikaner
Antstatt zusammenzuhalten, kommt es zu einem internen Krach, bei dem der linke, zur Militanz bereite linke Flügel quasi ausgesperrt wird und der gewaltlose Teil ungeschützt ausharrt. Hierbei kommt es zu köstlichen Dialogen. Lukas Turtur, einer von der Altherren-Fraktion, spielt einen theorielastigen Intellektuellen, der sich für eminent pazifistisch hält und auf die Macht des Geistes vertraut wie ein stubenhockender Akademiker, sich auf einen schrulligen Humanismus verlassend. Ostermeier entblößt die weltfremde Berufung auf Recht und Demokratie in all ihrer Lächerlichkeit und macht die Genossen zu Karikaturen, während draußen der rechte Block aufmarschiert. Es ist eine gänzlich unfeministische Inszenierung, da die Frauen allesamt nur Anhängsel der Männer sind und von ihnen zuweilen unterdrückt werden. Warum kommt keine linke Volksfront zustande? Seit dem Ebert-Groener-Pakt und der unerbittlichen Niederwerfung des Spartakusaufstands wissen wir, dass ein Bündnis aller linken Kräfte wegen unverhohlener Ressentiments und Uneinigkeit zum Scheitern verurteilt war. Hier zerlegen sich die Republikaner genannten Sozialdemokraten aber selbst und machen sich wehrlos. So geschah das, was anscheinend mit Notwendigkeit kommen musste. Eine wehrhafte Demokratie sieht anders aus. Implizit wird in dieser Inszenierung auch die Schwäche der aktuellen Sozialdemokratie offenbart. Fortwährende Selbstbeschäftigung und interne Querelen blockieren die Geschlossenheit, den politischen Willen und die Kampfbereitschaft. Der Abend ist sehr unterhaltsam, geistig anregend auch, aber eine subtile Studie ist das nicht. Dafür ist er zu überzeichnet und geprägt von Derbheiten und viel (guter) Komik.
Italienische Nacht
von Ödön von Horváth
Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Nina Wetzel, Kostüme: Ann Poppel, Musik: Nils Ostendorf, Dramaturgie: Florian Borchmeyer.
Mit: Lukas Turtur, Sebastian Schwarz, Marie Burchard, Hans-Joachim Wagner,David Ruland, Christoph Gawenda, Traute Hoess, Veronika Bachfischer, Alina Stiegler, Johannes Flaschberger, Konrad Singer, Lorenz Laufenberg, Juri Padel, Andrej Reimann, Benjamin Schröder, Inga Wolf, Annedore Bauer, Kind: Lioba Jacoby / Lena Niebur / Greta Preuß.
Musiker: Nils Ostendorf, Antonio Palesano, Matin Klingeberg, Thomas Witte.
Und etliche Statist*innen.
Schaubühne, Premiere vom 23. November 2018
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)