Schaubühne Berlin: Kritik von "Jugend ohne Gott" - Thomas Ostermeier
Eine Dramatisierung des Anti-Nazi-Romans von Ödön von Horváth. Ein Lehrer unternimmt eine gefährliche Gratwanderung im Dritten Reich.Im Camp: Das militärische Vorbereitungslager (Bild: © Arno Declair)
Militärisches Schüler-Camp als Vorbereitung für spätere Taten
Vor der Bühnenwand stehen etliche Bäume, die den Hintergrund bilden. Die deutsche Eiche ist nicht vertreten, zunächst kommt die Boden-Politik, das Blut wird folgen. Vor diesen Bäumen wechselt ständig die Szenerie mit den entsprechenden Requisiten, Schule, Zeltlager, Gerichtssaal etc. Der Lehrer bleibt unausgesetzt der Lehrer, er verändert sich nicht, während der Rest des Ensembles ständig die Rollen – und die Kleidung - wechselt, um auch ja die wichtigsten Figuren unterzubringen. Dabei läuft Ostermeier Gefahr, das Personal nur als Handlungsträger zu benutzen unter Ausschaltung aller soliden Konturen der Individualität. Die wurde unter der Gleichschaltung auch gelöscht, zumindest der Versuch wurde gestartet, doch der Mensch hat trotz aller Dressur auch seine eigenen Gefühle und Vorstellungen. Im militärischem Vorbereitungs-Zeltlager der Schüler, wo auch der Lehrer präsent ist sowie der abgestellte Feldwebel und Ausbilder (Lukas Turtur), fließt dann das Blut, T hat N ermordet, aus reiner Neugierde, um einmal live zu erleben, wie das Blut fließt, zur Rüstung für kommende Aufgaben. Dabei wird dem derben Z unterstellt, gemeinsam mit seiner geliebten obdachlosen Räuberfrau (Alina Stiegler) den Mord an N begangen zu haben, woran der Leser fremder Tagebücher, der Lehrer, nicht ganz unschuldig ist. Stiegler hat vor Gericht einen leidenschaftlich-aggressiven Auftritt, ehe der vom Gewissen geplagte Lehrer sie vom Mordvorwurf freispricht, denn, wie sich später herausstellt, der angeblich fischäugige T ist's gewesen. Fisch steht in diesem Roman für innere Kälte, Indifferenz und Kaltblütigkeit.
Moritz Gottwald
© Arno Declair
Der "Afrikaner" geht nach Afrika
Im Grunde ist Ostermeiers Projekt, das sich freilich streng an die Vorlage hält, eine Wallfahrt zum Diplom für den Heiligen Stuhl. Es ist eine beinahe klassische Geschichte: Schuld, Gewissensbisse und die Selbsterlösung durch Mitteilung der Wahrheit. Aber man muss bei der Bewertung vorsichtig sein: Der Verlust von Gott bedeutet in diesem Fall der Verlust von Humanismus und sozialem Denken. Und ohne Humanismus entfalten die entfesselten Triebe ihren entsetzlichen Lauf, der zunächst nur mit Störfeuern beginnt, dann aber Ernst macht. Schön anzusehen, wie Moritz Gottwald mit geglättetem Haar und kurzen Hosen dasitzt, wie ein Vertreter einer besseren Zukunft. Doch er wird vom aus der Wurzel geschlagenen System trainiert für das Recht des Stärkeren, angefüllt mit krimineller Energie. Immerhin kann Ostermeier die Deformation einer aus dem Ruder gelaufenen Gesellschaft recht adäquat darstellen. Der letzte, finale Druck der Anklage fehlt allerdings. Ein sich absolut menschlich gebärdender Pfarrer schlägt dem Lehrer eine Stellung in Afrika vor, und der Gestürzte willigt ein. Aber was macht einer in dieser Zeit, der zum "schwarzen" Kontinent expediert wird? Er wird wahrscheinlich Erfüllungsgehilfe der Macht, Pionier und ist zu Missionarsleistungen verpflichtet.
Jugend ohne Gott
nach dem Roman von Ödön von Horváth
Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
Regie: Thomas Ostermeier, Bühne: Jan Pappelbaum, Kostüme: Angelika Götz, Musik: Nils Ostendorf, Video: Sébastien Dupouey, Dramaturgie: Florian Borchmeyer.
Mit: Jörg Hartmann, Alina Stiegler, Bernardo Arias Porras, Damir Avdic, Lukas Turtur,Veronika Bachfischer, Moritz Gottwald, Laurenz Laufenberg.
Premiere war am 28. Juli 2019 bei den Salzburger Festspielen, Schaubühnen-Kritik vom 10.7. 2019.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)