Iris Becher, Sebastian Schwarz ...

Iris Becher, Sebastian Schwarz, Moritz Gottwald (Bild: © Gianmarco Bresadola)

Lebensgierig und liebebedürftig

Aber die Leute brauchen Ablenkung, wollen eintauchen in den Trubel, vor allem die kleine Bürofrau Karoline (Jenny König), die sich für ihren "Auftritt" extra hochgestylt hat. Nicht nach feiern zumute ist Kasimir, er ist nämlich plötzlich ein Abgebauter, verlor seinen Job als Chauffeur und glaubt deshalb, auch Karoline zu verlieren. Eine Mutmaßung, von der er in einem Maße überzeugt ist, dass er sich zu sinnlosen Provokationen hinreißen lässt. Das Herz der hartnäckig Bearbeiteten ist längst noch nicht geschlossen, aber sie ist enerviert und jäh vom Bedürfnis durchdrungen, höher hinaus zu wollen. Moritz Gottwald spielt seinen Kasimir zu zackig, ja zappelig, als könne er keinen Augenblick stillhalten und in sich gehen. Und Jenny König agiert als ein süßes Nichts, leicht lebensgierig und liebebedürftig, das mehr vom Leben haben will als nur ein Butterbrot, zum Beispiel ein Eis. Echsengleich oder wie bei einem Frosch mit Appetenzverhalten schnellt ihre Zunge heraus und umfährt eine Eiskugel, während sie Schürzinger kennenlernt. Fast scheint es so, als habe David Ruland diese Figur absichtlich mit größtmöglicher charismatischer Blässe ausgestattet, um den Gipfel gänzlich unauratischer Unscheinbarkeit zu demonstrieren. Wer seine Gefühle mit so einem vermischt, muss schon kurz vor dem Abgrund stehen. "Und die Liebe höret nimmer auf" hat Horvath als Motto dem Stück vorangestellt ist. Wenn damit gemeint ist, dass sich die Liebe an jeden rettenden Ast klammert, mag das wohl wahr sein.

 

Iris Becher, Sebastian Schwarz

© Gianmarco Bresadola

 

Eine Gelangweilte und ein Rohklotz

Auch Erna (Iris Becher) betrachtet ihren Merkl Franz als einen Überbrückungskandidaten, weil ihr momentan kein besserer Freund zur Verfügung steht. Iris Becher spielt das, was sie spätestens seit Wengenroths "Leonce und Lena" bis zur Perfektion zu beherrschen scheint: Ein völlig gefühlsneutrales, ausdrucksloses, über alle Maßen gelangweiltes Gesicht. Und Sebastian Schwarz als Kleinkrimineller agiert als rustikaler Rohklotz, dem man eine Serie von Kleinverbrechen jederzeit zutraut. A propos Wengenroth. Ulrich Hoppe ist ein typischer Wengenroth-Mann, egal ob er bei ihm mitwirkt oder nicht. Er ist ein hervorragender Darsteller von Karikaturen jeglicher Couleur, und im Verbund mit Robert Beyer (hier als Kommerzienrat Rauch) ist er ein verlässlicher Lieferant von Lachfutter. Nur: Horvath hat sein Volksstück nicht als Humoreske betrachtet, er wollte den traurigen Inhalt durch Humor lediglich ein wenig abmildern.

 

David Ruland, Jenny König

© Gianmarco Bresadola

 

Formt die Umgebung den Menschen?

Das gesamte Personal ist übrigens dunkel gekleidet, es ist keiner bestimmten Zeit, keiner Großstadtszene zuzuordnen. Gleich zweimal wird erwähnt, dass die Umgebung, das Milieu schuld sei an der Entwicklung eines Menschen. Demnach brauche man ihn bloß in ein besseres Soziotop zu versetzen, und alles wird gut. Das Individuum ist dadurch quasi entlastet: Die 68er und in ihrem Gefolge die Studentenbewegung haben diese These gierig aufgegriffen und es wundert nicht, dass in den 70er- und 80er-Jahren Studenten der Sozialpädagogik wie Pilze aus dem Boden schossen. Aber leider ist der Mensch nicht so leicht formbar und die These hat sich zumindest als fragwürdig erwiesen. Immerhin hat Kasimir durch eine eher resignative Gefühlsbemächtigung, durch die vorläufige Schicksalsvermischung mit Erna zu einem bescheidenen Glück gefunden und ist kein Verbrecher geworden. Insgesamt bietet die Premiere keinen neuen (Denk-)Ansatz. Eine der banalsten, einfallslosesten Schaubühnen-Inszenierungen der letzten Zeit.

Kasimir und Karoline
von Ödön von Horváth
Regie und Raum: Jan Philipp Gloger, Kostüme: Karin Jud, Video: Clemens Walter, Musik: Kostia Rapoport, Dramaturgie: Nils Haarmann, Florian Borchmeyer.
Mit: Moritz Gottwald, Jenny König, Robert Beyer, Ulrich Hoppe, David Ruland, Sebastian Schwarz, Iris Becher.
Schaubühne Berlin

Premiere vom 6. November 2014

Dauer: ca. 90 Minuten, keine Pause

 

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