Jule Böwe

Jule Böwe (Bild: © Gianmarco Bresadola)

Wer arbeitet, ist ein Schuft

Leonce wird von Ulrich Hoppe gespielt, der seine schillernde Glatze bald mit einer zotteligen Langhaarperücke verdeckt, als sei er nach dem durchdringenden Genuss von drei Joints aus Thalheimers "Tartuffe" entstiegen. Der Bruder Leichtfuß sinniert zunächst über sein Leben, das fast ausschließlich von Müßiggang, Langeweile und Depressionen diktiert wird. Sein Hirn nicht mehr gebrauchend – außer für die poetische Beschreibung des Überdrusses -, hält er jeglichen Sinn für sinnlos. Einer, dessen Arbeit darin besteht, nichts zu tun, hat es mit der Liebe nicht leicht, ja kann nur zur Verklärung der Langeweile lieben. Das bekommt auch Rosetta zu spüren, eine Tänzerin am Hof, die in eine hehre Gefühlsvermischung ihren Ehrgeiz setzt. Jule Böwe übernimmt quasi eine Doppelrolle, indem sie die anfängliche Mätresse Rosetta und den Diener Valerio spielt. Die beiden Figuren werden miteinander verquickt, teilweise bis zur Austauschbarkeit. Zunächst taucht sie als Valerio auf, der massiv dem Wein zuspricht und die These aufstellt: "Wer arbeitet, ist ein Schuft."

 

Romantische Aufwallungen

Jule Böwe hat offenkundig an sich gearbeitet, ihre theatralische Palette erweitert und bietet jetzt gestische Ausdrucksformen, die zuvor nur selten aufblitzten und stellenweise jäh versandeten. Da sind romantische Aufwallungen zu sehen, sehnsuchtsvolle Blicke und Augen, die der Ewigkeit zugewandt scheinen, wie um einen metaphysischen Trost zu finden oder einen geheimnisvollen Schauer zu erhaschen. Zuweilen eine durchglühte Seele, die dann wieder abstumpft und in den kruden Alltag zurückkehrt. Auf ihre gelegentlichen hysterischen Ausbrüche kann sie immer noch nicht verzichten, ihre Stimme wird dann zu einem krächzenden Bass, der aus der Kehle dröhnt und gutturale Laute von sich stößt. In letzter Zeit zeigt sie gern und viel Bein, ihre extrem knappen Höschen erreichen ungefähr Slip-Länge. Im letzten Drittel, als sich Leonce und Lena zu heiraten anschicken und diesen Schritt auch gelangweilt verwirklichen, scheint Jule Böwe die mimische Kraft zu verlassen. Sie rutscht in die Rolle einer Ausgestoßenen, die nur noch eine Nebenrolle einnimmt, und ihr Gesichtsausdruck ist neutral, gefühlsarm und fast etwas abwesend. Ob das die Absicht des poppigen, auf Effekte abzielenden Spielleiters ist, bleibt dahingestellt.

 

Ideal von Schönheit und Geistlosigkeit

Iris Becher, Ulrich Hoppe

© Gianmarco Bresadola

 

Nach etwa einer Stunde taucht Iris Becher als Lena auf, auch sie ist ein verkappter Todesengel und stellt sich die Sonne als Dornenkrone vor. Wie Leonce ist sie auf der Flucht vor der Zwangsheirat, doch die bevormundete Liebe zweier, die sich nicht kannten, wird nun aus eigenen Stücken Realität. Iris Becher bewegt sich barfuß auf der Drehscheibe und singt einen deutschsprachigen Popsong mit Ohrwurmqualitäten. Leonces Ideal – Schönheit gekoppelt an Geistlosigkeit – sieht er in ihr aufs Anschaulichste verkörpert. Vorbei die Zeiten mit Rosetta, die ihm aus Wut ins Bein biss und ihn küssen wollte, damit er ein Prinz wird. Einen blasen wäre dem poetischen Kasper lieber gewesen. Nun, Liebe und Leben ist eins sein lassen. Also sein lassen. Derartige Wortspiele liebt Wengenroth, der hier so etwas wie eine ironische Dekonstruktion von Büchner vornimmt. Aber er stellt manche Bauteile wieder zusammen, indem er teilweise überraschend nahe am Text bleibt. Jule Böwe, die sich wieder einmal von Rosetta in Valerio verwandelt, wird als zukünftiger Reichsminister ein Dekret erlassen: Wer arbeitet ist kriminell, bevorzugt wird das Liegen im Schatten. Sie lässt sich zu einem Lied hinreißen: "Melancholie, fick dich ins Knie." Und der besänftigte König will beide "Automaten" in effigie verheiraten, sozusagen als Stellvertreter. Während der Hochzeit spricht Leonce Lena aus Versehen mit Rosetta an, und Lena macht ein stupides Gesicht, das sie nicht mehr ablegt: Die Langeweile pur. Der Ertrag, die Erkenntnis dieser Inszenierung? Nun, auch ein clownesker Müßiggänger kann wegen seiner poetischen Fähigkeiten anziehend sein. Um Büchners Absicht, das faule, von Pflichten entledigte Genießen des melancholisch gefärbten Lebensstroms anzuprangern, schert sich Wengenroth nicht. Nach der durchaus seriösen "Petra von Kant" ist er wieder zum heiteren, mit Gags angereicherten Spiel zurückgekehrt. Die Inszenierung ist sehbar, aber auch nicht mehr.

Leonce und Lena
von Georg Büchner
Realisation: Patrick Wengenroth, Bühne: Mascha Mazur, Kostüme: Ulrike Gutbrod, Musik: Matze Kloppe, Licht: Erich Schneider.
Mit: Jule Böwe, Patrick Wengenroth, Iris Becher, Ulrich Hoppe und Matze Kloppe (Musik).

Schaubühne Berlin

Premiere vom 4. September 2014
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

 

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