K.B. Schultze bereitet sich auf ...

K.B. Schultze bereitet sich auf eine Aussprache vor (Bild: © Arno Declair)

Verschlingungen, die sich sogleich wieder lösen

Katharina Maschenka Horn

© Arno Declair

 

Die ansonsten karg eingerichtete Bühne ist ausgerüstet mit einem Metallgestell, das verschiedene, lose miteinander verbundene unverglaste Räume markiert. Sitzgelegenheiten gibt es und Stangen für die Tänzer zum Anklammern und Hochklettern. Die Kombination von Sprechtheater und Tanz ist Falk Richter wieder recht gut gelungen, wenngleich die Körperbewegungen mitunter zu heftig und ekstatisch erscheinen und das Gesagte zu konterkarieren scheinen. Immerhin, in den Figuren lauert ständig eine zurückgehaltene Aggression, die teilweise durch den Tanz adäquat zum Ausdruck gebracht wird. Flüchtige Umarmungen werden zu Verschlingungen der Körper, die sich sogleich wieder von sich lösen. Der Choreograph Nir de Volff bindet auch die Schauspieler des Hausensembles in den pulsierenden tänzerischen Strom ein, vor allem Regine Zimmermann vermag durch ihre Gelenkigkeit zu überzeugen.

 

Kontaktwunsch und Kontaktflucht

Der Rückzug ins innerlich Private ist gekoppelt an die Überflutung von Daten, an das zu ausgeprägte Leben in sozialen Netzwerken, in der selbstdarstellerischen Facebook-Welt. Viele möchten im Internet ihre unverwechselbaren Spuren hinterlassen, gleichzeitig droht die Gefahr der Selbstentblößung und Ausbeutung, ja der permanenten Überwachung. Verständigung und Gespräch finden lediglich im Netz statt, was sich zu einer Sucht steigern kann, die in eine Weltflucht ausartet und einen wahren Gefühlsaustausch unmöglich macht. Paradigmatisch dafür steht ein im Geist voll aufgehender Dozent (K.B. Schulze), der seinen Seminar-Text am Vortag auswendig lernt, aber auf Studenten stößt, die sich lieber mit ihrem Smartphone beschäftigen. In einer anderen Szene spielt Schulze einen innerlich zerrissenen Liebenden, der ein kommendes Gespräch mit seiner Partnerin vorbereitet und einzustudieren versucht, doch an seiner Wortwahl scheitert: Auch hier das Bedürfnis nach inniger Zweisamkeit und Verschmelzung bei gleichzeitigem Verlangen nach Abschottung, um eine zu große Nähe zu verhindern. Ein emotionales Hin-und Hergerissensein mit der drohenden Entfremdung im Nacken.

 

Internet als Ersatzwelt

Regine Zimmermann

© Arno Declair

 

Nun könnte man es sich leicht machen und von Autismus oder vom Asperger-Syndrom sprechen, aber die Probleme sind komplexer, zumal man den Figuren nur schwerlich eine geringe Affektivität vorwerfen kann. Die Angst vor Verlust von Wärme, das Sich-Verkriechen, das Umgehen von Bindung und Verantwortung ist bei Richter nicht die Ursache des Abtauchens in den Internetkosmos, sondern die Folge. Die digitalen Medien und Technologien bieten eine bunte Ersatzwelt, in der sich die kommunikationshungrigen, aber den mitmenschlichen Kontakt scheuenden Individuen häuslich einrichten können. Durch die Epidosenhaftigkeit des Erzählten werden viele Geschichten nur angerissen und leider nicht zuende geführt. Dadurch entsteht ein Eindruck des Disparaten, als sei alles nur willkürlich ausgesucht, um ein schillerndes Nebeneinander zu präsentieren. Noch gut in Schuss ist die Theaterveteranin und Legende Ilse Ritter, deren Figur nach dem Wegfall des Gatten von spirituell-metaphysischen Gedanken angewandelt wird. Wenn sie ein Einssein mit allen Menschen, mit den bekannten und abwesenden zelebriert, steht sie im Vergleich zu den anderen wie ein erratischer Block in der Landschaft. Falk Richter bleibt bei seinen Themen auf der Höhe der Zeit, stets greift er aktuelle Phänomene auf, um unter seinen Händen ein neues Kunstwerk zu schaffen. Eine beachtliche Uraufführung.

Never Forever
von Falk Richter und TOTAL BRUTAL
Text und Regie: Falk Richter, Choreographie: Nir de Volff / TOTAL BRUTAL, Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Daniela Selig, Musik: Malte Beckenbach, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Carsten Sander.
Mit: Regine Zimmermann, Kay Bartholomäus Schulze, Tilman Strauß, Ilse Ritter, Katharina Maschenka Horn, Florian Bilbao, Johanna Lemke, Chris Scherer.

Schaubühne Berlin

Uraufführung vom 9. September 2014
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 

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