Jenny König

Jenny König (Bild: © Stephen Cummiskey)

Kostümwechsel als Sisyphos-Arbeit

Es ist eine typische Mitchell-Inszenierung, die allerdings noch mehr als bislang ins Filmische gekippt ist. Es gibt viele Live-Szenen, die auf der Bühne gespielt und auf die Leinwand geworfen werden, andere Bilderfluten sind vorgefertigt. Beinahe automatisch wendet sich der Blick hoch zur Leinwand, das Gewusel auf der Bühne dagegen ist viel zu klein, als dass man ihm über Gebühr Aufmerksamkeit schenken würde. Rechts oben in einer zellenartigen Mansarde sitzt Cathlen Gawlich, eine Stammkraft von Mitchell, aus einer klaustrophobischen Enge heraus den Text nacherzählend, und das sehr professionell. Es ist, als wolle Mitchell mit dem ständigen Kostüm-Wechsel einen neuen Theaterrekord aufstellen. Was als schwungvolle Innovation und Improvisationslust gedacht ist, wird für die Hauptdarstellerin Jenny König zur Sisyphos-Arbeit. Die verschiedene Kleidung soll die jeweiligen Epochen widerspiegeln, doch die Übergänge werden nicht immer deutlich markiert, und epochenspezialisierte Textilien-Profis sitzen wohl kaum im Publikum. Die Regisseurin in ihrer Doku-Erneuerungsdynamik geht weit über das Erscheinungsjahr des Roman hinaus, aber nicht so weit, dass sie Orlando mit selbst aufgerissenen Löchern in der Knieregion der Hose auflaufen lässt. Dafür geht es schicker zu, mit opulenten Gewändern, feinem Stoff, edlem Gewirke und großen Gesten. Zwischendurch wird reichlich gerammelt, mit Befriedigung oder ohne, wir wissen es nicht, jedenfalls scheint eine Durchschnittslust gesättigt – was will man, außer der Verwaltung der Ländereien und der Widmung hin zur schöngeistigen Literatur, auch tun in all den Jahren?

 

© Stephen Cummiskey

 

Komik ist Trumpf

Seltsamerweise spielt Jenny König den Mann seriöser als die Frau, spätestens seit Orlando eine Art Beehive-Frisur trägt, in die man ein Vogelnest bauen könnte, wird es komisch. Gawlich liest die humorvollen Stellen des Romans vor und König versucht das, so weit ihre Kräfte reichen, mimisch zu illustrieren. Es ist nicht sicher zu sagen, warum die Zuschauer*innen lachen – wegen des Textes oder der darstellerischen Komik? Bedauerlicherweise hat die durchaus talentierte Schauspielerin kein komödiantisches Talent, es gibt einige Kolleginnen im Haus, die können das besser. So wird munter knallchargiert, mit übertriebener Komik-Mimik, die weniger aussagt als feinsinnig differenzierte Andeutungen. Der prätentiöse Anspruch der Inszenierung wird somit konterkariert. Wollte Mitchell nun darstellen, dass Mann und Frau letztlich gleich sind und lediglich die Konventionen und Anerzogenes sie voneinander trennen? Gut, es gibt sogenannte "Mannweiber" und feministische Männer, doch das ist nicht die Regel in dieser triebgesteuerten Welt. Mitchell greift indirekt die vorurteilsbeladene Gesellschaft an, ohne das weiter plausibel zu machen. Gleich scheinen die Geschlechter nur zu sein beim Durst nach erotischer Sättigung, ergänzt durch Spezialformen des Knutschens. Diese Inszenierung verlässt man mit gemischten Gefühlen.

 

Orlando
von Virginia Woolf
Bühnenfassung: Alice Birch
Regie: Katie Mitchell, Mitarbeit Regie: Lily McLeish, Bühne: Alex Eales, Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen, Bildgestaltung: Grant Gee, Video: Ingi Bekk, Musik und Sounddesign: Melanie Wilson, Dramaturgie: Nils Haarmann, Licht: Anthony Doran.
Mit: Jenny König, Isabelle Redfern, Konrad Singer, Cathlen Gawlich, İlknur Bahadır, Philip Dechamps, Carolin Haupt, Alessa Llinares.
Premiere war am 5. September 2019, Kritik vom 7. September 2019
Dauer: ca. 2 Stunden, keine Pause

 

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