Nina Hoss vor historischem Hintergrund

Nina Hoss vor historischem Hintergrund (Bild: Arno Declair)

Von den Regierten zu den Regierenden

Hier ist also Nina Hoss, am Lesepult, im Hintergrund läuft ein nachgestellter Film über Eribons Vergangenheit und Gegenwart. Daneben eine Art einsehbares Filmstudio, in dem der mit routiniertem Fernsehkrimi-Gesicht ausgestattete Hans-Jochen Wagner und Renato Schuch betriebsam hocken und hantieren. Nina Hoss erzählt, und sie erzählt viel – ihre flüssigen Sprechwerkzeuge arbeiten mehr als das Gesicht – von Eribons privatem Lebenswerk, das in der Rückkehr zur eigenen Familie einen fragwürdigen Höhepunkt findet. Zurück zu den Wurzeln sozusagen, nur waren die Wurzeln nicht die besten. Erst nach dem Tod des gehassten Vaters wagt er sich zurück zur Mama, die damals die geistige Ausbildung des heutigen Professors förderte. Das Hauptanliegen des Werks und auch der Inszenierung ist die Abwendung der Arbeiterklasse vom Kommunismus und das Überlaufen ins feindliche Lager – das der Nationalen Front. Die sogenannten kleinen Leute fühlten sich von der Linken nicht mehr repräsentiert: Die offizielle politische Vertretung redete nur noch in den Wendungen und Parolen der Regierenden und verlor die Regierten, also das Volk, aus dem Blickfeld. Man war alleingelassen, fühlte sich abgehängt und wählte aus Frustration und Protest stramm rechts, weil durch die massive Einwanderung von kulturfremden Neuen ein als unerträglicher empfundener Konkurrenzdruck entstand. Diese Situation war hier für nicht wenige Zeitungsredakteure eine Erklärung dessen, was simultan in Deutschland ablief. Das ist ein Grund für den hiesigen Erfolg des Buches.

 

Foto: Arno Declair

 

 

 

Kleine Abwechslungen zwischendurch

Die Leinwandbilder rasseln unaufhörlich über Hoss' Kopf hinweg. Man sieht Eribon im Zug sitzen und bei der Wiederkontaktaufnahme mit seiner Mutter, man sieht traurige Fassaden, Baufälligkeit und Tristesse, sieht kleine Leute auf großen Bildern. Daneben Szenen von rebellischen Linken nebst Polizei mit Feuereifer, Akteur*innen der Weltpolitik und ein paar visuelle Stimmungsmacher. Damit dieses Referat nicht gar so eintönig ausfällt, versucht Ostermeier eine Authentizität vorzutäuschen. Es soll alles so sein wie bei einer Live-Übertragung, die Tonstudiohocker greifen ins Geschehen ein und unterbrechen Nina Hoss, um etwas gespieltes Theater vorzuführen und Ostermeier nicht als Großmeister des Staubtrockenen dastehen zu lassen. Derartige Passagen sorgen in der Tat für eine – wenn auch bescheidene - Abwechslung. Doch die Sprecherin lässt sich nicht irritieren und aus dem Konzept bringen: Die letzten zwanzig Minuten gehören der einigen Zuschauer*innen längst bekannten Lebensgeschichte von Vater Willi Hoss. Sein erzwungener Ausschluss aus der DKP wegen des abgelehnten Einmarsches der Sowjetarmee in Prag 1968, seine Arbeit als Schweißer und Gewerkschaftler, sein Austritt bei den Grünen wegen des als Friedensmission ausgegebenen Afghanistan-Feldzuges und seine unermüdliche Arbeit im amazonischen Regenwald. Immerhin, Hoss liest ohne Emphase und falschem Pathos – das kann sie in diesem Rahmen auch gar nicht. Ohnehin kann sie bei ihrer Hochbegabung ihre schauspielerische Versiertheit nicht ausspielen – insofern ist ihr "Einsatz" verschleudert. Es wäre zu vermuten, aber das Projekt ist keine Anklage der selbstgefälligen saturierten Schicht der Gebilden, die herablassend auf das Treiben der Arbeiterklasse schielt. Bei manchen besteht die Solidarität wenigstens noch im Kopf. Der Versuch, aus dem Unternehmen ein großes Schauspiel zu machen, wäre besser gewesen.

Rückehr nach Reims

nach dem gleichnamigen Roman von Didier Eribon

Fassung Schaubühne, deutschsprachige Erstaufführung

Regie: Thomas Ostermeier, Bühne und Kostüme: Nina Wetzel, Musik: Nils Ostendorf, Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Maja Zade.

Es spielen: Nina Hoss, Hans-Jochen Wagner, Renato Schuch.

Schaubühne Berlin, Berlin-Premiere vom 24. September 2017

Dauer: 2 Stunden

 

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