Im Wohnzimmer bei der Vergangenheits ...

Im Wohnzimmer bei der Vergangenheitsbewältigung (Bild: © Marc Stephan)

Persönliche Dauerkrisen

Es sind harte Geschichten, die da ausgebreitet werden. Nestwärme oder etwas Vergleichbares hat es wohl nie gegeben. Die vier Schauspieler - Karim Bel Kacem, Sara De Bosschere, Sébastien Foucault und Johan Leysen – berichten von ihrem persönlichen Schicksal so wie man über Tatsachen eben berichtet. Es gibt keine emotionsgeladenen, obsessiven Vorträge, und auch den Gesichtern entrutscht aus der Retrospektive keine Trauermiene, die mit einem Gefühl süßer – oder bitterer – Melancholie gesättigt ist. Jeder darf einmal an die Reihe, rückt quasi in den Vordergrund, indem ein Kollege die Kamera auf den Referenten hält. Über der Bühne befindet sich ein großer Monitor, der den erfassten Schauspieler groß ins Bild setzt. Das verführt natürlich dazu, sich ausschließlich auf die Großaufnahme zu konzentrieren und den darunterliegenden Konversationssalon auszuklammern. Alle Teilnehmer blicken zurück auf ein verkrüppeltes Familienleben, in dem der Vater – oder das Nichtvorhandenseins eines Vaters – die Hauptrolle spielt. Angesichts der persönlichen Dauerkrisen fragt man sich automatisch, welcher der Beteiligten die allerschlechtesten Startvoraussetzungen hatte. Offensichtlich kamen für Milo Rau nur solche Personen in Betracht, die möglichst zerrüttete, kaputte Familienverhältnisse aufzuweisen hatten. Eine in Kuschelatmosphäre aufgewachsene Existenz taugt nicht für den Versuch, einen für den Dschihad bereiten Kollaborateur aus psychologischen oder soziologischen Gründen zu erklären.

 

Sara De Bosschere

© Marc Stephan

 

Skurriles und Todtrauriges

Die beeindruckendste Geschichte ist noch die von Joris, der sich von Belgien aus nach Syrien orientiert, um als unerbittlicher Gotteskrieger seinen Platz im Leben zu erobern. Sein Vater fährt aus Zurückholungsmotiven an den Kriegsschauplatz, gerät in ein IS-Lager und findet irgendwann seinen Sohn, der sich allerdings in der Gemeinschaft martialischer Kombattanten immer noch wohl fühlt. Alle Väter, über die geflissentlich Bericht erstattet wird, sind Säufer, die delirieren, prügeln oder dem finalen Schwachsinn verfallen. Als Sébastien Foucault von seinem Vater Michel erzählt, denkt man zunächst an den berühmten Philosophen, aber der fixierte seine erotische Schwungkraft ausschließlich auf Männer, erzeugte keinen archivkundigen Nachlassverwalter und verstarb an Aids. Am souveränsten agiert noch Johan Leysen, der diesen Narrationsabend durch eine heitere Anekdote mit dem Filmregisseur Jean-Luc Godard beflügelt. Insgesamt vermischt sich Skurriles mit Todtraurigem. Trotz der Zurschaustellung von Befindlichkeit hält sich ein Gefühl von Empathie in bescheidenem Rahmen. Letztlich wirkt alles ein wenig konstruiert, und zur Erklärung, warum westliche Bürger mit islamischen Glauben in den heiligen Krieg ziehen, trägt Milo praktisch gar nichts bei. Hier liegen Prätention und Wirklichkeit (besser: Verwirklichung) weit auseinander, zumal die ausgestellten Personen keinen Anspruch auf Exemplarität erheben können. Übrig bleibt ein durchaus reizvoller Erzählabend mit interessanten Biografien, mehr nicht.

The Civil Wars
von Milo Rau
Text und Regie: Milo Rau, Recherche und Dramaturgie: Eva-Maria Bertschy, Ausstattung: Anton Lukas, Video: Marc Stephan, Licht: Abdeltife Mouhssin, Bruno Gilbert, Aymrik Pech.
Mit: Johan Leysen, Karim Bel Kacem, Sébastien Foucault, Sara De Bosschere.

Schaubühne Berlin

Gastspiel vom 17. April 2015
Dauer: 2 Stunden und 15 Minuten, keine Pause

 

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