Iris Becher, Ulrich Hoppe

Iris Becher, Ulrich Hoppe (Bild: © Gianmarco Bresadola)

Ein Psychiaterin und ihre männlichen Patienten

Nach der vorläufigen Beendigung des Fassbinder-Trips ist wieder ein typischer Wengenroth herausgekommen, voll mit populärer, ohrwurmartiger Musik. Es wird viel gesungen an diesem Abend, hier tun sich vor allem Iris Becher und Laurenz Laufenberg hervor, und es hat ganz den Anschein, als sei Wengenroth in seiner musikalischen "Entwicklung" in den 80er-Jahren stehengeblieben. Neben ehemaligen internationalen Hits werden Songs im Stil der Neuen Deutschen Welle abgeliefert, dazu auch der Intro-Text von Ich liebe Dich (Clowns & Helden, 1986). Die Musik kommt vom Band und Wengenroth-Stammspieler Matze Kloppe, der mitunter eine Art Narrenkappe trägt, steuert die Soundeffekte per Keyboard bei. Die restlichen drei männlichen Schauspieler sind allesamt relativ weichgekochte Jammerlappen, die sich nacheinander der Psychiaterin vorstellen und leisetreterisch und verklemmt daherreden, schließlich ist man ungeübt im Preisgeben von Intimitäten. Während Andreas Schröders wie ein Macho mit Ladehemmung herumdruckst, offenbart Laurenz Laufenberg seinen unwiderstehlichen Hang zur Travestie, und angesichts des fortwährenden Tragens von Frauenkleidern wird nie ganz klar, auf welcher Seite er eigentlich steht oder ob er beide triumphal in sich vereinigt. Ganz anders hingegen Berufskomiker Ulrich Hoppe, dessen wortlose, vielsagende Gestik allein ausreicht, um die Leute zum Lachen zu bringen. Eine Inkarnation der Schlaffheit, die einen halbwissenschaftlichen Duktus präferiert und in den Eingeweiden von Sigmund Freud und dessen Penisneid-Theorie herumwühlt. In einer Aufwallung von meditativer Inbrunst sinkt er darnieder und hält sich einen abgelegten High Heel von Iris Becher vors Gesicht, wie um das ewig Weibliche anzubeten.

 

Iris Becher

© Gianmarco Bresadola

 

Zu tief sitzt der Gender-Trouble

Das Bühnenbild ist eine maßgeschneiderte Holzwand, in die Schränke und Türen eingelassen sind. Hinter der Holzvertäfelung lagert viel Bier, vom dem die Midlife-Crises-Experten reichlich Gebrauch machen, ohne sich aufzubauen und sich zu einer glorifizierten männlich-weiblichen Balancestimmung hochzuschaukeln. Zu tief sitzt der Gender-Trouble, und kein Wunder, dass Iris Becher einmal ausrastet und jene Fragen aufwirft, die eigentlich Thema des Abends sein sollten. Eben der weibliche Selbstbehauptungswille, und die Frage, inwieweit die Frau ihre Frau steht angesichts immer noch offenkundiger patriachalischer Strukturen, in der profane Erklärungsmodelle einer Alice Schwarzer abgelehnt werden und staatliche Regulierungsmechanismen ( z.B. Frauenquote, paritätische Besetzung) nicht weit genug greifen. Bechers Ausbruch ist nur ein kurzwährender Einschub, und insgesamt ist die Inszenierung rein thematisch verschenkt. Aber – Hand aufs Herz -: wer hatte von einem neuen Wengenroth anderes erwartet? Die Verulkung und Klamaukisierung stehen eindeutig im Vordergrund, und so haben wir einen Abend, der für die Betätigung der Lachmuskeln viel, aber für die Notwendigkeit einer Feminisierung hinsichtlich der unabgeschlossenen Gleichberechtigung fast gar nichts leistet. Egal, wie ambitioniert sich Wengenroth im Vorfeld zu dieser Aufgabenstellung theoretisch äußert – er steht sich mit seiner unauslöschlichen Neigung zur Unterhaltungskomik zunehmend selbst im Weg. Der Schluss immerhin offenbart eine Hinwendung zum Weiblichen, indem ein Blechtrommel-Motiv aufgegriffen wird. Iris Becher, längst mit überstülpter Rothaar-Perücke, weitet ihren endlos weiten Rock und gewährt den männlichen Vertretern eine Zuflucht. Das weibliche Prinzip gewährt Schutz und Obdach und Geborgenheit. Doch das ist zu wenig, es ist wieder ein "normaler" Wengenroth entstanden, der nach dem Unterhaltungswert zu bemessen ist. Schade, dass alles so normal ist.

Thisisitgirl

Ein Abend über Frauen und Fragen und Frauenfragen für Frauen und Männer
von Patrick Wengenroth

Realisation: Patrick Wengenroth, Bühne: Mascha Mazur, Kostüme: Ulrike Gutgrod, Musik: Matze Kloppe, Dramaturgie: Giulia Baldelli.

Mit: Iris Becher, Ulrich Hoppe, Matze Kloppe, Laurenz Laufenberg, Andreas Schröders.

Schaubühne Berlin

Premiere vom 16. September 2015

Dauer: ca. 1 Stunde, 50 Minuten

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