Robert Beyer, Johannes Flaschberger ...

Robert Beyer, Johannes Flaschberger, Laurenz Laufenberg, Eva Meckbach, Moritz Gottwald (Bild: © Gianmarco Bresadola)

Laurenz Laufenberg, Eva Meckbach

© Gianmarco Bresadola

 

Heroische Mitleidsliebe oder vaterländisches Gemeinschaftsgefühl

Wo eine Gelähmte ist, ist auch ein Arzt, der mitunter eine Mischung aus kraftvoller Fülle und Sportfaulheit verkörpert. Flaschberger spielt den beflissenen Dr. Condor, der Spezialbehandlungen vorschlägt, etwa eine Kur im schweizerischen Engadin. Fast der Nietzsche-Ort, aber auch dort wurde seine vermutete progressive Paralyse (Neurosyphilis) nicht geheilt. Gering sind Ediths Heilungschancen, der Arzt indes sieht Kraft und Überlebenswillen, weil Hofmillers Besuche ihr gut tun. Dr. Condor spekuliert auf Zeitgewinn und der Leutnant hält seine Mitleidssentimentalität für Liebe und verhält sich dementsprechend. Oh die hehren Gefühle! Da Hofmillers Herzenskonvulsionen authentisch wirken und die Aussicht auf baldiges Laufen besteht, erklärt Edith ihm ihre Liebe. Was soll nun der arme, militärisch indoktrinierte Leutnant machen – sich in eine heroische Mitleidsliebe stürzen? Das alles ist begleitet von etlichen Ensemble-Stimmen, die ein Innerlichkeitsdrama generieren. Das gefühlsselige Verlogenheitsdrama wird meistens nicht gespielt, sondern wie in einem Hörspiel mit verteilten Sprecherrollen verlesen, untermalt mit akustischen Akzenten und Signalen. Wenn beispielsweise Marie Burchard zu handeln sich anschickt, ertönt sogleich Eva Meckbachs Stimme, deren gefühlsverpflichtete innere Schreie bis ins Mark vordringen und dann versanden, um einer anderen Regung Platz zu machen.

 

Echtes und falsches Mitleid

Die auf der Bühne praktizierte Vermischung von Texterzählung und Gewissenssprache kann auch schiefgehen, vor allem bei einer reduzierten, gestisch stark zurückgehaltenen Darstellung und eher minimalistischer Schauspieltechnik. Nicht so bei dem auf Geduld setzenden Simon McBurney, der übrigens gerne ein abgegriffenes, sein Haupt dachartig überwölbendes Bascape trägt. Unter seinen Händen funktioniert das, der Abend wird nach einer gewissen Eingewöhnung und Akklimatisierungsphase zur einer recht großen Sache. Zumindest, wenn man facettenreiche Theaterkunst statt tiefgreifendem Erkenntnisgewinn präferiert. Am Beispiel Militär zeigt der Autor, wie verkrustet und obsolet ein falsch verstandener Ehrenkodex und plumpe, entindividualisierende Gemeinschaftsgefühle sein können. Die Armeefreunde bekommen von Hofmillers Privattreiben so gut wie alles mit, unter anderem ist ein nicht auftretender Apotheker wie eine wandelnde Klatschzeitung. Viel Lärm erzeugend, wollen die geistig dressierten Kombattanten keine Gelähmte mit jüdischem Blut, sie versuchen den bislang geachteten Kollegen durch zweifelhaft stichhaltige Argumente zu manipulieren. Hofmiller ist hin- und hergerissen zwischen uniformgetränkter Kollektivkraft und herzensungeduldigem, mitleidsumflossenem Sentiment. Was wahre Mitleidsliebe ist, beweist Dr. Condor, der eine Blinde geheiratet hat. Die ist jetzt ein matronenhaftes Klappergestell, gespielt von Robert Beyer, der, diesmal Mädchen bzw. Mann für alles, sich offensichtlich auf verwitterte Alte kapriziert hat und dabei um publikumswirksame Perfektionierung bemüht ist. Gewiss, der Abend klingt inhaltlich stark nach antiquierten Lebenseinstellungen, nach Fontane, nach Schach von Wuthenow und anderen Dingen. Aber Simon McBurney hat etwas Lebendiges daraus geformt.

Ungeduld des Herzens
von Stefan Zweig
Fassung von Simon McBurney, James Yeatman, Maja Zade und dem Ensemble
Regie: Simon McBurney, Co-Regie: James Yeatman, Bühne: Anna Fleischle, Kostüme: Holly Waddington, Licht: Paul Anderson, Sound Design: Pete Malkin, Benjamin Grant, Video Design: Will Duke, Dramaturgie: Maja Zade.
Mit: Eva Meckbach, Johannes Flaschberger, Laurenz Laufenberg, Robert Beyer, Marie Burchard, Moritz Gottwald Christoph Gawenda.

Schaubühne Berlin

Premiere vom 22. Dezember 2015
Dauer: ca. 140 Minuten, keine Pause


 

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