Schaubühne Berlin: Kritik von "Verein zur Aufhebung des Notwendigen" – Meierhans
Eine Koch-Show im Rahmen des FIND 2017. Das Publikum bereitet nach Regie-Plan ein üppiges Mahl zu. Ein Gemeinschaftsgefühl breitet sich aus.Die Verschmelzung zum Kollektiv
Wer irgendeinen Leitfaden, eine Dramaturgie oder gar ein Aktionstheater mit Zuschauerbeteiligung erwartet hat, wird enttäuscht. Und dabei konnte man nach dem Ankündigungstext der Schaubühnen-Homepage davon ausgehen, dass eine Art Streitkultur mit "politischem Showdown" entsteht, agieren doch auf der Bühne die unterschiedlichsten Charaktere, die sich schnell in die Quere kommen können. Bedauerlicherweise verzichtet der belgische Regisseur Christophe Meierhans auf ein "Drehbuch" und überlässt die Leute ihrem Schicksal in der Hoffnung, es komme durch die Verschmelzung zum Kollektiv ein kleines demokratisches Abenteuer zustande. Nach einer Weile erreicht das Publikum ein fragwürdiger Geruch, eine zarte Wolke, die sich aber sogleich wieder verflüchtigt. Mit Hilfe einer speziellen Atemtechnik kann das Ganze mühelos überstanden werden. Einige hocken auf ihrem Platz, als könnten sie ihren Bühneneinsatz kaum abwarten wie manche Hunde, die ihrer Gassi-Zeit entgegenhecheln, um das Entleerungssystem aktivieren zu können. Andere fühlen sich in der falschen Veranstaltung und haben keine richtige Lust. Sie erwecken auch den Eindruck, als hätten sie in ihrem bisherigen Leben die Küche nur zur Abschmeckung betreten. Am besten ist es noch, ein Gesicht routinierter Coolheit aufzusetzen. Von der Bühne hört man lediglich leise Gesprächsfetzen. Lauter ist das inaktive Publikum, das sich durch kraftvolle Zwischenrufe bemerkbar macht und das Niveau in die Richtung eines geräuschvollen Gemüsemarkts umlenkt.
Die Volksküche als Harmoniespender
Nach etwa 80 Minuten wird dem Kritiker ein Teller mit dem ersten Gang gereicht. Es handelt sich um einen zum Brei zerlaufenen Ziegenkäse, in dem ein paar Gemüsestücke schwimmen. Es könnten auch schmale Kartoffelscheiben sein, der Geschmack ist nicht genau zu eruieren, zumal die Ziegenkäse-Soße wirkt, als habe jemand aus Versehen etwas arg viel Zucker hinzugekippt. A propos Ziegenkäse: Der scheint en vogue zu sein. Eine ältere Frau im Pensionsalter, die eine bunte, asiatisch inspirierte Bluse trägt, als wolle sie im Nachhinein ein Hippie-Revival zelebrieren, darf auf eine Tafel ihren Essenswunsch schreiben: Ziegenkäse mit Honig - gebraten. Zu ihrem Bedauern wird ein riesiges Stück Fleisch aufgefahren, das dann professionell mit Hackmesser und Säge bearbeitet wird, um, in Einzelstücke zerteilt, auf dem Grill zu landen. Immerhin gibt es bei der anschließenden Essensausgabe auch eine vegetarische Sektion, in der heutigen Zeit, wo nicht wenige Menschen die Ernährung als Teil ihrer Weltanschauung betrachten, unverzichtbar. Wer schon bei der Absolvierung des ersten Ganges nach zwei Bissen aufgegeben hat, ist für alles Nachfolgende, für die weiteren Produkte der Volksküche wohl abstinent – der große Rest aber lässt es sich schmecken. Dabei treten zermahlende und zermalmende Kauwerkzeuge zutrage, die an eine komplette Gebiss-Sanierung appellieren. Nur einmal wird es gefährlich, und zwar gefährlich für die Harmonie. Zwei Personen werden dazu aufgefordert, ihre Dankbarkeit (gegenüber der Natur?) zum Ausdruck zu bringen. Und was machen sie? Sie werfen Äpfel und andere Dinge gegen den Seitenvorhang. "Wie gestern", murmelt eine Zuschauerin. Doch entgegen ihrer Befürchtung verpufft die Provokation, zu groß ist das Harmoniebedürfnis. Eine derartige Veranstaltung eignet sich hervorragend für den Zirkus. Weil da manchmal über alles gelacht wird, was auf der Bühne passiert. Die Produktion wäre auch etwas für ein Gemeindezentrum, wo sich eine selbst ausstellende Selsthilfegruppe für Harmoniebedürftige präsentiert. Trotz aller Langeweile liefern einige Facetten Stoff für jene, die einen unverbrüchlichen Hang zur gewollten und ungewollten Situationskomik haben. Aber was zum Teufel hat dieses Projekt in der Schaubühne verloren? Nun, die bürogebundene Exekutive hat sich - aus welchen Gründen auch immer - dafür entschieden, und eine Hofkamarilla von Ostermeier scheint nicht zu existieren. Im Rahmen eines Festivals kann also alles nur noch bunter werden.
Verein zur Aufhebung des Notwendigen
Konzept und Regie: Christophe Meierhans
Dramaturgie: Bart Capelle, Bühne: Holger Lindmüller und Michael Carstens, Video: Luca Mattei, Produktion: Hiros.
Es spielen: Zuschauerinnen und Zuschauer.
Schaubühne Berlin, Studio
Erste Aufführung des Gastspiels war am 31. März 2017, Kritik vom 2. April 2017
Dauer: ca. 2 Stunden, 20 Minuten.
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)