Schaubühne: Kritik von "Toter Hund in der chemischen Reinigung.." von A. Liddell
Premiere. Sicherheit statt Freiheit. Ein utopischer Staat hat Migranten und Kriminelle abgeschafft, aber unter der sauberen Oberfläche schwelen die destruktiven Kräfte.Renato Schuch, Iris Becher, Ulrich Hoppe (Bild: © Gianmarco Bresadola)
Dadaistisches Manifest
Ein ehemaliger Museumswächter hat aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen Panikattacken, ein Aufpasser der Reinigung befriedigt sich selbst an der schmutzigen Wäsche der Kunden und eine entlassene Lehrerin entlud bei einem Zwölfjährigen ihre angestaute erotische Gier. Ganz unter sich, entfalten sich wie von selbst libidinöse Neigungen. Aber man begehrt immer jenes Objekt, das sich lieber anders orientiert. So kommt es wie selbstverständlich zu Selbstzerfleischungen. Und dann noch das System, das sich weit von Rousseaus Gesellschaftsvertrag abhebt! Es gibt so manche Last zu tragen, ein ganzes Bündel gar, vor allem den Staat mit seiner Kontrollsucht, der die Minderheiten, die nicht mit dem Strom schwimmen können und wollen, unterminiert. Die Autorin/Regisseurin Liddell bauscht ihr Stück auf, greift sich Stellen der Philosophen Rousseau, Diderot und Foucault heraus, um das Unternehmen geistig zu fundieren, ja aufzuladen. Herausgekommen ist dabei kein Theaterstück, sondern eine Performance, auf die das Publikum wegen der Sehgewohnheiten bzw. Ostermeiers Hausstil gar nicht vorbereitet ist. Bleibt man einmal in Berlin, so fallen einem sofort Lilienthals HAU und die alten Sophiensaele unter Amelie Deuflhard ein, die dort 2000 - 2007 die Intendantin war: Damals wäre das Publikum für eine solche Kunstform präpariert gewesen. Denn im Grunde handelt es sich hier um so etwas wie die Darstellung eines dadaistischen Manifests. Und angesichts der Verlautbarungen der Schauspieler*innen denkt man unter Umständen an Filippo Marinettis "Futuristisches Manifest", das der damalige Dichter und spätere Kulturminister unter Mussolini einst in einer berauschten Stimmung verfasst zu haben scheint: "Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen..". Und: "Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag."
Lukas Turtur, Iris Becher, Ulrich Hoppe
© Gianmarco Bresadola
Ein gewaltiges Tohuwabohu
Damir Avdic ist es, der mit seinem ständigen Requisit, der Axt die Gewalt ins Stück hereinträgt. Bei zerschlagenen Stühlen lässt er es nicht bewenden, er beschimpft auch das Publikum, als sei das eine ungewöhnliche Theaterinnovation, und fordert die Unzufriedenen zum Gehen auf. Das tun dann auch einige, eine Zuschauerin sagt unter Gekicher beim Rausgehen: "Scheiß Regie". Wer Ulrich Hoppe in der Bestetzungsliste liest, rechnet zunächst mit gehöriger Komik. Doch Hoppe hält sich für seine Verhältnisse zurück und macht ein Gesicht, das irgendwo zwischen Würde, Ignoranz und Naivität hin- und herpendelt und deshalb gebremst drollig wirkt. Iris Becher als leicht begleitete Prostituierte hingegen gebärdet sich, wohl aufgrund intensiver Anregung der Regie, als düster dreinblickende Tragödin, ohne Aussicht auf Aufhellung. Einmal lässt sie absichtlich ihren Fuß einbetonieren – wer ist denn nun der Klotz am Bein? In dieser brachialen Gesellschaftskritik wird keine Sinnlichkeit entfaltet, auch wenn Veronika Bachfischers pädophile Lehrerin mit ihrem Geschmack fürs Zart-Frühknusprige lange mit ihren nackten Beinen herumwedelt. Kurz, auf der Bühne herrscht ein gewaltiges Tohuwawobu, bei dem alles durcheinanderläuft bis hin zu reinem Wirrwarr. Auch das Bühnenbild erweckt den Eindruck, dass Unpassendes (Blumenwand, Rasenstück, rote Couch und Gemälde mit Kniefall vor der Angebeteten) zusammengestellt wurde, um Originalität zu suggerieren, etwas Hinzuzudenkendes anzudeuten. Eins ist klar: Der Staat, der mit den Feinden aufgeräumt hat, garantiert die absolute Sicherheit, die aber Panik erzeugt, weil manche Menschen nicht mehr mit ihren schlechten Eigenschaften und Boshaftigkeiten umgehen können. Kein Weg wird angeboten, die latente Gewaltbereitschaft zu unterdrücken. Wenn man sich nicht gerade gegen sich oder jemand aus der Gruppe wendet, ist die abstrakt gedachte Gesellschaft dran. Und der Gesellschaftsvertrag ist längst in Auflösung begriffen. Letztlich eine enttäuschende Ouvertüre des Festivals.
Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken
Regie, Bühne und Kostüme: Angélica Liddell, Mitarbeit Regie: Gumersindo Puche, Sounddesign: Antonio Navarro, Licht: Carlos Marquerie, Dramaturgie: Florian Borchmeyer.
Mit: Iris Becher, Veronika Bachfischer, Ulrich Hoppe, Susana Abdul Majid, Renato Schuch, Lukas Turtur, Damir Avdic.
Schaubühne Berlin
Premiere vom 30. März 2017
Dauer: 150 Minuten, keine Pause,
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)