Schneider Wibbel

Schneider Wibbel (Bild: Presseamt der Stadt Düsseldorf)

Der Düsseldorfer Schneidermeister Anton Wibbel hat sich im Jahr 1811, nach dem Einzug Napoleons in die Stadt, der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht. Dafür soll er ins Gefängnis. Dem Meister und seiner Frau gelingt es jedoch, den Gesellen Zimpel zu überreden, die Strafe gegen 30 Taler "Aufwandsentschädigung" abzusitzen. Tragischerweise aber stirbt Zimpel in der Haft, und die vermeintliche Witwe spielt, vor Freunden und Verwandten, die kummervolle Witwe.

 "Wat bin ich für en schöne Leich!"

Dies eben war jene Szene, die Müller-Schlösser und Henckels Sorge bereitete. Würde das Publikum nicht mit Empörung auf die wirklich Trauernden reagieren, die ja bloß einem abgefeimten Schwindel aufgesessen waren? Autor und Protagonist ließen es schließlich darauf ankommen, und sie taten gut daran, denn die Zuschauer jubelten, als Wibbel seinem eigenen Trauerzug vom Fenster aus nachblickt und die Urworte, rheinisch, spricht: "Wat bin ich für en schöne Leich!"

 Diesen Satz, einer der garantierten Lachsalvenerzeuger in einer deutschen Komödie, hat kaum einer so schön andachtsvoll-pfiffig ausgesprochen wie Pauö Henckels, der "Wibbel" der Uraufführung, die 1913 im Düsseldorfer Schauspielhaus stattfand, das damals von dem Ehepaar Louise Dumont und Gustav Lindemann geleitet wurde.

Bombenrolle für jeden Schauspieler

Henckels hat die Rolle nach dem ersten Abend noch rund 500 Mal gespielt. Das Stück erwies sich als Goldgrube; deshalb setzten es Dumont/Lindemann zur Etatsicherung immer wieder auf den Spielplan. Auch in späteren Jahren ist Henckels immer wieder in die Rolle des pfiffigen Schneiderleins geschlüpft. Rechnet man all seine Wibbel-Vorstellungen zusammen, kam er auf 1500 Abende, an denen der Meister seine wunderbare Auferstehung erlebte. Fünfmal hat Henckels das Stück selbst inszeniert. Henckels und Wibbel waren so sehr zu einer Person verschmolzen, dass gar kein anderer für die Darstellung des schlitzohrigen Schneidermeisters in der ersten Tonfilmfassung von 1931 in Frage kam.

Der Wibbel ist eine Bombenrolle. Der Autor Müller-Schlösser selbst hat es sich nicht nehmen lassen, seine bekannteste Figur selbst mehr als 600 Mal zu verkörpern. Später hat ihn, wiederum in Düsseldorf, Karl Maria Schley gespielt. 1978 hat der langjährige "Kom(m)ödchen"-Kabarettist Ernst H. Hilbich den Düsseldorfer Schneider verkörpert – ausgerechnet im "Feindesland": am Kölner Millowitsch-Theater. Dessen Prinzipal hatte ihn bereits 1961 in einer Fernsehversion gespielt.  

Insgesamt sieben Filmversionen der Komödie gibt es. Eine zweite entstand noch 1939 mit Erich Ponto in der Titelrolle, und eine ziemlich überflüssige Neuauflage kam 1956 in die Kinos, in der Heinz Rühmann, zwar ein glänzender Komödiant, aber ungefähr so rheinisch wie Karl Valentin, den im Nachkriegsdeutschland in der britischen Besatzungszone aktiven Schneider. Kurt Meisel hat "Das Sonntagskind" inszeniert, aber selbst hochkarätigen Mimen wie Günther Lüders oder Werner Peters als Mitstreiter gelang es nicht, Alt-Düsseldorfer Atmosphäre zu vermitteln.

 Hörspiel, Oper, Musical

Dem Stück selbst haben auch derlei Modernisierungen, mittelmäßige Schauspieler und uninspirierte Inszenierungen nichts anhaben können. Fünfmal erlebte Wibbel eine Wiedergeburt als Hörspiel, und 1938 hat Mark Lothar aus der Komödie eine Oper gemacht, für die sich nach der Uraufführung allerdings kaum noch einer interessiert hat. Und Mitte der 1980er Jahren ist eine Musical-Fassung in Aachen mit Pauken und Trompeten untergegangen. Merke: es gibt Komödien, sogar deutsche, die sind inhaltlich wie handwerklich so perfekt geschneidert, dass man tunlichst alle Änderungen vermeiden sollte – sonst passt der Anzug hinterher keinem mehr.

"In fast allen Sprachen der Erde", so schreibt der Ur-Wibbel Pau Henckels in seinen anekdotischen Lebenserinnerungen "Ich war kein Musterknabe", "ist dieses unsterbliche Stück gespielt worden. Sogar in Afrika in Kisuaheli."

Zuletzt gab es im Jahr 2010 eine Neuauflage des Wibbel – natürlich in Düsseldorf. Und dort, im Herzen der Altstadt, erinnert auch die Schneider-Wibbel-Gasse an den aufmüpfigen Sohn der Stadt. Über dem Eingang zu einem Restaurant bringt er sich regelmäßig in Erinnerung: Da öffnet sich zur vollen Stunde unter Glockengebimmel eine hölzerne Tür unterhalb der Uhr, und Wibbel zeigt sich im Schneidersitz den Passanten und Kneipenbesuchern.     © Rainer Nolden

 

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