Der Hersteller Simson

Simson gehörte zu den traditionsreichen Namen der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Seit 1886 am Markt, produzierte der Hersteller in seiner wechselvollen Firmengeschichte unter anderem Jagdwaffen, Automobile, Motorräder und Fahrräder. Das im jüdischen Besitz befindliche Unternehmen wurde während der nationalsozialistischen Herrschaft verstaatlicht, geriet nach Kriegsende unter sowjetische Verwaltung und wurde erst 1952 in das spätere IFA-Kombinat der DDR eingegliedert. 1964 kam es zu einer Neuausrichtung der Produktionspalette. Die Motorradfertigung gab man zugunsten der Zschopauer MZ-Werke auf und konzentrierte sich nun ganz auf Jagdwaffen sowie schwächer motorisierte Zweiräder. In diese Zeit fällt auch die Geburtsstunde der Vogelserie.

Der Spatz: Klein, aber oho!

Als ihr kleinster Vertreter rollte ab 1964 der Spatz vom Band. Obwohl das schlichte Gefährt zunächst nur einsitzig und mit Pedalen versehen hergestellt wurde, fand es doch genügend Abnehmer und wurde sogar in die BRD exportiert. Einige Jahre später folgte die überarbeitete Version mit neuem Motor und Kickstarter. Das zweigängige Getriebe schaltete man jedoch weiterhin per Hand durch einen Drehgriff. Nach mehr als 150 000 Exemplaren endete 1970 die Produktion des kleinen Kraftpakets.

Ein Star wird zum Topmodell

Im gleichen Jahr wie der Spatz erreichte auch der Typ Star die Serienreife. Er machte seinem Namen alle Ehre, denn mit über einer halben Million verkaufter Fahrzeuge wurde das zweisitzige Kleinkraftrad zu einer Art Topmodell. Der mit 2,5 Pferdestärken versehene Motor übertraf relativ mühelos die angegebene Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h. Das Dreigang-Getriebe wurde per Fußschaltung bedient. Abgesehen vom Design des vorderen Scheinwerfers glich der Star jedoch optisch weitgehend dem Spatz.

Die Großen der Vogelserie: Sperber und Habicht

Ganz anders hingegen der ab 1966 produzierte Sperber. Als stärkstes Mitglied der "Vogelfamilie" ließ er echtes "Motorradgefühl" aufkommen, was vor allem zwei Umständen geschuldet war: Während Spatz und Star noch über einen Durchstieg (ähnlich wie bei Damen-Fahrrädern) verfügten, schloss beim Sperber der Tankbehälter direkt an die Sitzbank an. Neben dem größeren Fassungsvermögen des Tanks bewirkte dies ein "erwachseneres" Design. Obwohl der Sperber-Motor (wie alle Vertreter der Vogelserie) ebenfalls nur einen 50 ccm-Motor besaß, erreichte das Fahrzeug stolze 75 km/h Höchstgeschwindigkeit.

Doch genau letzterer Umstand erwies sich als hinderlich für den Verkaufserfolg des Sperbers. Durch die erhöhte Maximalgeschwindigkeit konnte das Fahrzeug nicht mehr als Kleinkraftrad eingestuft werden. Es wurde zum Leichtkraftrad deklariert, kostete somit Steuern und erforderte einen Motorradführerschein. Offenbar empfanden viele potenzielle Käufer das Gefährt daher als unwirtschaftlich, weil es trotz vergleichsweise geringem Hubraum wie ein Motorrad besteuert wurde. Ein Umstand, der in den 1980er Jahren übrigens auch zum Misserfolg des Leichtkraftrads S70 führen sollte.

Als Nachfolger des Sperbers erschien daher 1972 der Habicht, welcher trotz nur dreijähriger Produktionszeit ein Verkaufsschlager wurde. Optisch und technisch unterschied er sich kaum vom Vorgängermodell, besaß jedoch einen entscheidenden Vorteil: Die Höchstgeschwindigkeit wurde offiziell mit 60 km/h angegeben, so dass die Zulassungsbedingungen erheblich vereinfacht waren.

KR 50, Schwalbe und Duo

Bereits gegen Ende der 50er Jahre präsentierten die Simson-Werke ein einsitziges Kleinkraftrad, welches erhöhten Fahrkomfort bot. Das KR 50 verfügte über eine gegen Schmutz und Fahrtwind weitgehend schützende Fahrzeugverkleidung und hob sich hinsichtlich des Designs dennoch vom Aussehen süd- und westeuropäischer Motorroller ab. Als Nachfolger des KR 50 präsentierte man mit dem Start der Vogelserie 1964 das optisch ähnliche, jedoch zweisitzige und leistungsfähigere Modell Schwalbe (Typ KR 51). Es wurde (mit leichten Änderungen) mehr als 20 Jahre lang produziert und erfreute sich trotzdem gleichbleibend hoher Beliebtheit. Zu den angebotenen Modellvarianten gehörte sogar ein Fahrzeug mit Automatikschaltung. Die Dreigang-Modelle nannte der Volksmund zur Unterscheidung von viergängigen Typen übrigens "Kampfschwalbe"...

Zum Schwalbe-Geschwader gehörte weiterhin auch das sogenannte Duo mit Dreiganggetriebe, welches vor allem für Gehbehinderte vorgesehen war. Es wurde durch einen spezialisierten Hersteller angefertigt und verkörperte quasi eine dreirädrige Schwalbe, welche je nach Bedarf als geschlossenes Fahrzeug oder als eine Art Cabrio verwendet werden konnte.

von vorn: Habicht, Sperber, Star, Spatz, KR 50

Im Vordergrund der Schwalbe-Vorgänger KR 50 (hier abgebildet ohne Einzelsitz)

Fortgesetzte Tradition: Die Vogelreihe nach der Wende

Als Folge der wirtschaftlich-politischen Wende waren auch die Simson-Werke 1991 von der Liquidation betroffen. Doch noch im gleichen Jahr kam es bereits zur Neugründung eines Unternehmens, welches die Simson-Tradition fortführte. Mitte der 1990er Jahre erschien so eine neue "Vogelreihe". Lediglich die Schwalbe war darin nicht mehr vertreten. Dafür gesellte sich als exotischer Neuling das Modell Albatros hinzu, ein dreirädriges Lieferfahrzeug. 2002 ging der traditionsreiche Fahrzeughersteller jedoch endgültig in Insolvenz, wodurch auch der kurze Flug der neuen Vogelreihe endete. Die Vertreter der historischen Vogelreihe jedoch erfreuen sich nach wie vor ungebrochener Beliebtheit. Sie sind auch ein halbes Jahrhundert nach ihrem Start im ostdeutschen Straßenverkehr präsent und erzielen mittlerweile beachtliche Wiederverkaufswerte.

Donky, am 27.12.2016
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