Selma Lagerlöf, der Erste Weltkrieg und Deutschland
In den Briefen an ihre Freundin Sophie Elkan finden sich einige kluge und klarsichtige Bemerkungen zum Ersten Weltkrieg.Marbacka 02 (Bild: Ehrenberg Kommunikation / Flickr)
Kriegsausbruch
Den Kriegsausbruch spürte man auch im abgelegenen Värmland zwar nur im Kleinen, aber doch sofort durch Preissteigerungen und Mobilisierung. Man darf nicht vergessen, dass das benachbarte Finnland damals nicht unabhängig, sondern russische Kolonie war, so dass es eine gemeinsame Grenze gab: (...) zwar leben wir in relativer Ruhe hier oben in unserem Winkel der Welt, aber wir nehmen Teil, soviel wir können. Das betrifft hier Mitleid mit Wehrpflichtigen, die ihre Familien verlassen mussten. Ein Nachbar wird fast verrückt, weil der Sohn abgereist ist, eine andere Familie weint darüber, dass die Stute weg muss. Hier ist noch keine Mobilisierung, aber einige der Jungen haben bei fremden Regimentern exerziert. Dann sprechen wir von den Preisen von Landwirtschaftsprodukten, die ja unerhört steigen (...) [7.8.1914]
Selma Lagerlof Swedish Writer (Bild: 6855659)
Shiva, der Gott der Zerstörung
Selma Lagerlöfs idealistischer Kampf um einen ewigen Frieden wurde manchmal eingeholt von fatalistischeren Gedanken, als wären Krieg und Zerstörung eben Teil des Weltenlaufes: Ich denke manchmal an meine alte hässliche Lebensphilosophie, dass alles, was ist, unaufhörlich zerstört werden muss, damit kommende neue Geschlechter auch die Freude des Erbauens haben sollen. Es ist nicht genug mit dem natürlichen Tod, der Verwelkung, der Vermoderung. Es wirkt, als bräuchte der Gott der Zerstörung Zeiten, um alles öde zu legen. Für den Fortschritt der Welt ist der schreckliche Zerstörer Shiva ebenso notwendig wie Brahma, der Schöpfer. Nach dem Tod und nur durch den Tod kommt die Auferstehung. [Anf. 9/1914)
Dass man die Unmenschlichkeit von Giftgas als Mittel des Kriegseinsatzes beklagt, kann sie nicht nachvollziehen, als würden die anderen Arten der Zerstörung dadurch human: Ich habe mich nicht so über die Stinkbomben aufgeregt. Soldaten sind ja dafür da, sich zu schlagen und zu sterben. Ist es schlimmer, von schlechtem Geruch vergiftet zu werden, als von einer Granate in Stücke gesprengt zu werden. Das verstehe ich nicht. Ich finde, dass die alte Art fast schlimmer ist. [Antwort auf Brief vom 10.Mai 1915]
Auch an kurzfristige Friedensversuche glaubt sie nicht. Sie wusste, dass jetzt alles jetzt seinen Gang geht bis zum bitteren Ende. Solche friedensstiftenden Versuche sind ja eher etwas für die Initiatoren und Unterzeichner selbst, als dass sie irgendeinem praktischen Zweck dienen. Man fühlt sich eben besser. Aber daran findet sie nichts Schlimmes: Ich habe die Tage einen Protest vom Friedensverein unterzeichnet, der durch Frau Wicksell kam. Er kam mir klug und richtig vor, aber natürlich ist er unnötig. Es ist nur so, dass die Leute nicht stillhalten können. Es ist ja besser, dass sie etwas schreien dürfen, als dass sie vor Machtlosigkeitsgefühlen verrückt werden. [Antwort auf Brief vom 10.Mai 1915]
Deutschland
Die deutschen Verdienste und Leistungen erkennt sie uneingeschränkt an und sieht Deutschland im Prinzip im Recht. Aber gleichzeitig kritisiert sie das Verhalten Deutschlands, das einem berechtigten Überlegenheitsgefühl entspränge. Und so bekommt der Vergleich mit Napoleon etwas mehr als Zwiespältiges: Ich kann so gut mit den Deutschen fühlen. Sie wissen, dass sie ein Volk im Fortschritt sind, das europäische Volk, das in der letzten Zeit am tüchtigsten, arbeitsamsten, erfindungsreichsten war. Es ist ungeniert und unangenehm in seiner Art, das weiß es, aber es fragt nicht so sehr danach, ob es verletzt oder Verärgerung erweckt. Es meint, dass doch alle sehen müssten, welche großen Verdienste es leistet. Ich würde das deutsche Volk mit Napoleon vergleichen wollen, er hatte dasselbe feste Bewusstsein seiner Tüchtigkeit, und er fand nicht, dass es etwas ausmachte, dass er Mitbewerber unter den Füßen zertrampelte. Was kümmerte er sich um alte untaugliche Königsgeschlechter und stillstehende Völker. (...) Das ist es, was Deutschland antreibt, es ist nicht barbarisch, aber es hat ein so unermessliches Gefühl seines Wertes, und es meint, dass es vor allem von den Engländern und Amerikanern so schlecht behandelt worden ist, die doch verstehen müssten, wozu es taugte. Es will Raum zum Arbeiten haben, es könnte für uns alle arbeiten und stattdessen schließt sich ein Ring von Waffen um sie. Sie werden arm gemacht, ausgehungert, die, die die Besten sind, die das Gefühl haben, am meisten das Recht zu leben zu haben. [Antwort auf Brief vom 10.Mai 1915]
The Karte von Europa on the Eve of Welt War One (Bild: 6813992)
Die USA und die Lusitania
Eingeschränkt wird ihre Deutschfreundlichkeit vor allem durch die Bombardierung und den Untergang des Passagierdampfers Lusitania im Mai 1915. Und selbst die Tatsache, dass tatsächlich Waffen an Bord waren und der Beschuss vermutlich auch gewollt war, um Amerika in den Krieg zu ziehen, würde die Bombardierung nach ihrer Logik nicht entschuldigen: Es gibt wohl niemanden, der nicht meint, dass Amerika unrecht begeht, wenn es Waffen nach Europa schickt, es ist gerade, als wünschte es, dass wir richtig Gelegenheit bekommen, uns zu zerstören. Es ist, als würde man ein Messer in den Händen eines Wahnsinnigen lassen, aber wie gereizt die Deutschen auch sind, so ist das Lusitania-Verbrechen unverzeihlich. (...) Es ist so deutlich, dass diese Reisenden nichts mit dem Krieg zu tun hatten. Das war ein Übergriff, der niemals entschuldigt oder gesühnt werden kann. Er wird die Feindschaft zwischen den Völkern noch in vielen Generationen aufrecht halten. Ich wünsche sehr, dass das nie passiert wäre. [Antwort auf Brief vom 10.Mai 1915]
Russland
Dass sie als Schwedin wenig Gutes über Russland zu sagen hatte, wundert nicht. Umso mehr Interesse hatte sie für das Ende der zaristischen Gesellschaft durch die Revolution und dann den Oktoberumsturz: Diese Russen halten uns warm mit ihren Überraschungen. Für mich ist es ja nichts Unerwartetes, dass diese Gesellschaft zusammenstürzt, das ist eine asiatische Despotenherrschaft gewesen, die man mit Ninive und Babylon vergleichen kann und solche halten auf Dauer nicht. Das kann gerne in Stücke fallen. [25.7.1917]
Wie merkwürdig das ist mit den Russen. Es ist natürlich die verzweifelte Friedenssehnsucht, die Lenin und seine Leute an der Macht hält. Und dieselbe Friedenssehnsucht ist es natürlich, die auch die Deutschen zwingt, mit diesen Menschen zu verhandeln. Ich habe ja immer gesagt, dass es Kerenski schlecht ergehen würde, weil er von seinem Glauben an den Frieden abwich. (...) Das ist jetzt das erste Mal, dass das russische Volk wirklich zeigt, was es will, und dieses Volk, das nie etwas anderes getan hat, als andere Völker zu erobern und zu tyrannisieren, scheint wirklich das einzig wirklich friedliche Volk auf der ganzen Welt zu sein. [1.12.1917]
Friedenshoffnungen: Ekel vor dem Krieg
Lagerlöfs Hoffnung lag vor allem auf einem Ende des innereuropäischen Kolonialismus, sei es durch die Briten oder die Russen: Dann hoffe ich auf die Entstehung einer Masse von Kleinstaaten, die sich selbst regieren und erziehen dürfen. Weiter hoffe ich auf ein freies, einiges Europa, das Amerika die Stange halten soll. (...) Ich hoffe auf Frieden von Russland und Freiheit für alle Völker. (...) Belgien, Elsass, Finnland, Irland, alle unglücklichen Völker, glaube ich, sollten imstande sein, sich wieder selbst regieren zu dürfen. [25.7.1917]
Langfristig aber dachte sie darüber nach, wie die Menschheit einen Zustand erreichen könnte, in dem keine Kriege mehr möglich sein könnten. So wie das Opfern von Menschen und der Verzehr deren Fleisches ein modernes Tabu sei, so müssten Töten und Kriegführen in der Zukunft ein undenkbares Tabu sein: "Aber sollte es unter uns nicht so werden können, dass es unmöglich würde, Menschen zu töten. Sollten nicht diese Schrecken, die wir nun sehen, uns wirklich Widerwillen vor dem Krieg geben? Es dürfte nicht bloß eine humanitäre Idee sein, eine Sache, die man mit dem Verstand fasst, sondern das sollte ins Blut, in den Körper hineingehen, es müsste einen so unerhörten Ekel wecken, dass man es nicht mehr tun könnte. Man dürfte nicht über Krieg lesen können, man dürfte nicht daran denken können, so ekelerregend müsste es sein." Mein Glaube ist, dass es in Jahrhunderten auch so sein wird, und dann hat die Friedensidee wirklich gesiegt. [21.10.1918] Mit diesen Gedanken als Grundlage entstand dann auch ihr ungewöhnlicher, aber interessanter Roman "Bannlyst" (1918, dt.: "Das heilige Leben", engl.: "The Outcast").
Selma Lagerlof Swedish Writer at Work in Her Study (Bild: 1873401)
Marbacka 06 (Bild: Ehrenberg Kommunikation / Flickr)
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