Sicherheit wichtiger als Freiheit? Zum NSA-Skandal
Edward Snowdens Enthüllungen weltweiter Überwachungen zum Trotz: Sollte uns Sicherheit vor Freiheit gehen?In dem wohl bewusst provokant betitelten Focus-Artikel "Es ist zynisch, Freiheit über Sicherheit zu stellen" finden sich einige sattsam bekannte Behauptungen ein, welche der Überwachung das Wort reden. Ehe ich in meiner Replik auf diesen Artikel eingehe, möchte ich ein wunderbares Zitat des großen Benjamin Franklin, einem der weisesten Gründungsväter der in die Kritik geratenen USA, anführen: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren."
Man kann Risiken minimieren, nicht ausschalten
Gewissermaßen als Untermauerung Ihrer These, wonach die mitunter im Widerspruch zu Datenschutz stehenden Aktivitäten von Geheimdiensten notwendig seien, zieht die Artikelautorin folgende konkrete Beispiele heran:
Stellen wir uns einen Moment lang vor, die Nachrichtendienste würden den Telefon- und Mailverkehr nicht nach Hinweisen auf Terrorismus und Kriminalität durchsuchen. Dann wären aller Wahrscheinlichkeit nach 2007 oder 2008 von der so genannten Sauerlandgruppe Bomben gezündet worden, die Menschen verletzt oder getötet hätten.Lassen Sie uns nicht die übel beleumundete Schenke namens "Verschwörungstheorien!" betreten. Dennoch müssen die - nicht nur meiner Ansicht nach - berechtigten Zweifel am raschen Abschluss des Sauerland-Prozesses (das angebliche Mastermind der Sauerland-Gruppe wurde übrigens bei einem US-Drohnenangriff getötet) erwähnt werden, wie Sie etwa sogar das "rechter Verschwörungstheorien" unverdächtige Magazin "Stern" unter dem Titel "Welche Rolle spielten die Geheimdienste?" publizierte. Ich möchte folgenden sehr schönen Satz herausstreichen:
Welche Rolle also die Geheimdienste in der Planung des Anschlags spielten, vermochte das Gericht nicht aufzuklären.Weshalb auch? Der Prozess war zur Zufriedenheit des Staates durchgezogen worden. Sollte man sich angesichts der mustergültig glatt verlaufenden Verhandlungen noch mit Geheimdiensten, US-amerikanischen gar, anlegen und diplomatische oder politische Verstimmungen riskieren? Doch weiter im Focus-Artikel., wo ein typischer, falscher Zirkelschluss gezogen wird:
Wie viele es gewesen wären, weiß man nicht. Die Zahl ist aber letztlich gleichgültig. Schon ein gerettetes Leben, schon ein Erhalt der Unversehrtheit sind aller Anstrengungen wert – und rechtfertigen die Arbeit von Geheimdiensten.Tatsächlich ist die Zahl potenzieller Opfer eben nicht gleichgültig, da der Anschlag die Planungsphase nie verließ und die Bomben funktionsuntüchtig gewesen wären. Was hingegen auffällt ist, dass die Geheimdienste mit so gut wie jedem größeren Anschlag in Verbindung gebracht werden können, diesen Verbindungen aber aus "Staatsraison" im Regelfall nicht nachgegangen wird. Wer dies für eine dumme Verschwörungstheorie hält, möge sich über die "Operation Gladio" informieren, die in Westeuropa dutzende Zivilisten das Leben kostete und aller Wahrscheinlichkeit allenfalls die Spitze des Eisbergs bildete.
Zum anderen kennt man den Mythos: "Schon ein gerettetes Leben ist X wert!" zur Genüge. Der großartige Kabarettist Dieter Nuhr wies in einem seiner Programme sehr richtig darauf hin, dass es kein einziges vernünftiges Argument gegen Tempo 100 gäbe. Oder Tempo 80. Oder 20. Und kommt zum Schluss: "Muss man sich denn überhaupt fortbewegen?"
Was kabarettistisch überspitzt formuliert wird, besagt Folgendes: Das Leben ist nun einmal risikobehaftet. Man kann vermeidbare Risiken weitgehend ausschalten, aber nicht alle. Zu diesen Risiken zählt jenes, ins Zielvisier verrückter Terroristen zu geraten - hierzu gleich mehr.
Anschläge vom 11. September: Aktion = Reaktion
Denn als Nächstes folgt das Paradebeispiel für mehr Überwachung, noch strengere Gesetze und Ausweitung der Geheimdienstaktivitäten, welches in Wahrheit jedoch das stärkste Gegenargument bildet:
Umgekehrt betrachtet: Die Angehörigen der Toten des 11. September hätten die Kontrolle ihrer Kommunikationsdaten sicher gern in Kauf genommen, wenn dafür ihre Lieben noch am Leben wären.Von der emotionalen Aufgeladenheit abgesehen, stellt 9-11 das Musterbeispiel für Geheimdienstversagen dar. Erneut möchte ich mich nicht in den Raum der "Verschwörungstheorien", die allzu oft Verschwörungspraxis sind, stellen. Nehmen wir der Einfachheit halber an, die Anschläge vom 11. September spielten sich exakt so ab, wie es der veröffentlichte 9/11-Commission Report darlegt. Ich darf hierzu ausnahmsweise aus Wikipedia selbst einen unzählige Male in ähnlicher Form von Politikern oder Geheimdienstexperten verlautbarten Satz zitieren:
Das wichtigste Ergebnis ist die Aussage, dass Fehler bzw. Versäumnisse von CIA und FBI es den Terroristen ermöglicht haben, die Anschläge durchzuführen, die andernfalls hätten verhindert werden können.Den US-Geheimdiensten sollen zahlreiche Warnungen* über geplante Anschläge vorgelegen haben, was selbst der erwähnte offzielle Report nicht verschweigt. Ich muss in Ermangelung des Kommissionsberichtes erneut Wikipedia zitieren:
"During the spring and summer of 2001, U.S. intelligence agencies received a stream of warnings about an attack al Qaeda planned, as one report puts it "something very, very, very big." Director of Central Intelligence George Tenet told us "the system was blinking red."Selbst der damalige US-Präsident George W. Bush wurde in einem Memo von den Terrorwarnungen benachrichtigt.
Warum erwähne ich all dies? Weil gerade die Anschläge vom 11. September die Mär vom schützenden Geheimdienst diskreditieren. Alleine die NSA soll 40.000 Mitarbeiter beschäftigen und verfügte 2012 über ein offizielles (Betonung auf "offiziell"!) Budget von 10 Milliarden US-Dollar. Und jener mächtige Staatskrake mit unzähligen Fangarmen und Myriaden an TIntensäcken zur Tarnung seiner Aktivitäten, der zig tausende Agenten weltweit beschäftigt, rund 1.000 (in Worten: Eintausend!) militärische Stützpunkte außerhalb seines Staatsgebietes unterhält, über jede moderne Technologie, Spionagesatelliten, unbemannte Drohnen, etc. verfügt, "verpasste" ausgerechnet den mit Abstand verheerendsten Terroranschlag der US-Geschichte?
Auf die zahlreichen Ungereimtheiten, Zufälle und die patentierte Ausrede "menschliches Versagen" kann und möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. All dies ist auch gar nicht relevant, denn wer aus 9/11 den Schluss zieht, die Anschläge seien Folge von zu wenig Überwachung gewesen, lässt sich willfährig zur Puppe der globalen Marionettenspieler machen und übersieht gleichzeitig den wichtigsten Aspekt der Anschläge: Diese stellten eine Reaktion auf die US-Außenpolitik im Nahen Osten dar. Was bedeutet das? Nicht weniger, als dass auf eine Aktion eines Staates eine Reaktion erfolgte. Keinesfalls rechtfertigt das eine das andere - es legt jedoch die Motive hinter den Anschlägen des 11. Septembers offen und macht das Geschehene verständlich. Kurzum: Dass die Attentäter auf US-amerikanischen Boden einen verheerenden Terroranschlag durchführten und nicht in ihrer Heimat oder sonstwo, hat einen ganz bestimmten Hintergrund, den man für die Beurteilung der Sachlage einbeziehen muss. Terroranschläge erfolgen nicht aus einer Bierlaune heraus an einem zufälligen Ort, sondern haben Ursachen wie in diesem Falle die US-Außenpolitik. All die Überwachungen, ja, die Geheimdienste selbst wären überflüssig, agierten Staaten nicht auf eine Weise, die Gegenreaktionen geradezu provoziert.
* Da eine direkte Verlinkung nicht möglich ist. kopieren Sie bitten diesen Link in die Broswer-Adresszeile:
http://www.nswbc.org/Press%20Releases/NSWBC-911Comm.htm
Sollte man dem Staat "trauen"?
Ein weiterer eklatanter Trugschluss offenbart sich hierbei:
Es geht in der aufgeregten aktuellen Debatte über die Abhörmaßnahmen der NSA um das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit. Dabei überwiegt klar die Parteinahme für die Freiheit. Doch ist die Sicherheit die Voraussetzung dafür, dass Freiheit gelebt werden kann. Freiheit ist ohne Sicherheit undenkbar. Es ist die vornehmste Aufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten – auf dass nicht das Recht des Stärkeren gelteHierbei betrete ich selbstverständlich heikles Terrain, da das "Gewaltmonopol" des Staates nicht in Frage gestellt werden darf. Und exakt darin liegt die wahre Tragik und Problematik verborgen: Der Staat ist das Recht des Stärkeren! Erst die hierarchische Unterordnung und Aufgabe der Selbstbestimmung sämtlicher Bürger ermöglicht ein Staatswesen. Der Staat in Gestalt seiner Vasallen und Bürokraten erklärt völlige Hoheit über Leben und Besitz "seiner" Bürger, die sich hiervon Schutz vor äußeren und inneren Feinden erhoffen. Dieses naive Vertrauen gleicht einer Kuh, die blindes Vertrauen darin hat, dass der Bauer und sein Freund, der Schlachter, nur das Allerbeste für das Tier im Sinne hätten.
Ein Blick in ein Geschichtebuch zeigt: Egal, welche Seite man aufblättert, es gibt keinen einzigen Grund dafür, ausgerechnet im Staat einen Garanten für Freiheit und Sicherheit zu wähnen. Einer sehr, sehr groben Schätzung nach ermordeten Regierungen alleine im 20. Jahrhundert eine Viertelmilliarde ihrer eigenen Bürger... in "Friedens"zeiten! Muss man den meisten heutigen Staaten und Regierungen tatsächlich die Stiefel dafür lecken, dass sie nicht mehr Millionen Menschen foltern, verhungern, umbringen, vergewaltigen lässt, sondern nur noch in "kleinerem" Maße?
Es gibt keine "relative" Freiheit, also eine Freiheit, die man teilweise aufgibt. Man ist entweder ein freier Mensch oder ein Sklave - es gibt keinen "vernünftigen Kompromiss"! Wer einen Teil seiner Freiheit aufgeben möchte, um im Tausch vermeintliche Sicherheit zu erhalten, wird diese wichtige Lektion freilich niemals lernen. Verwundern darf dies nicht, wird doch gerade in Europa der Etatismus nicht in Frage gestellt. Wie jede andere Religion - und um etwas anderes handelt es sich beim Glauben an den Staat nicht, wie eventuell in einem weiteren Artikel noch ausgeführt werden soll - ist auch die Religion des Staates ein Instrument zur geistigen Versklavung.
Eine besondere Ironie liegt in dem Umstand, dass ausgerechnet die USA, die einst tatsächlich als freieste Nation dieses Planeten mit einem "Minimalstaat" begannen, nur zweihundert Jahre später zur mit Abstand mächtigsten Nation aller Zeiten avanvierten - Ermordung per Knopfdruck inkludiert.
Gewalt erzeugt Gewalt
Konsequenterweise heißt es weiter:
Selbstverständlich ist es nötig, allen Verbündeten nachdrücklich das deutsche Verständnis von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz nahezubringen und möglichst international geltende Standards zu entwickeln.Jegliches "Verständnis von Rechten" ist das Zugeständnis, unfrei zu sein - und dies ausdrücklich zu wünschen! Es ist immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie das Offensichtliche (geistreich-ironisch sprechen die US-Amerikaner vom "elephant in the room") krampfhaft "übersehen" werden muss: Eine durch Gewalt, Zwang und Androhung von Strafen zusammengehaltene Gesellschaft darf allenfalls auf Pseudo-Sicherheit und vermeintliche Freiheiten hoffen, wie sie aktuell opportun erscheinen und vom "Staat" abgesegnet wurden. Kann man den Nazi-Schergen bzw. später den Mauerschützen tatsächlich Unmenschlichkeit vorwerfen, wenn sie sich im Rahmen der herrschenden Gesetze bewegten? Auch die US-Drohnenangriffe stellen keine Privatfehden schießwütiger texanischer Cowboys dar, um beim Klischee zu bleiben, sondern werden nach offizieller Maßgabe durchgeführt. So abscheulich und unmoralisch diese auch sein mögen: Nach US-Recht läuft hierbei alles "sauber" ab und der jeweilige US-Präsident soll sogar "Todeslisten" mit potenziellen Zielen der Angriffe besitzen (und diese absegnen).
In einem auf Gewalt errichteten und mit Zwang betriebenen System wird automatisch Gewalt erzeugt. Das ist keine Verschwörungstheorie und es erfordert kein jahrelanges Studium, um dies zu begreifen, zumal der Staat von ganz gewöhnlichen Menschen, nicht von einem göttlichen Wesen geführt wird. Menschen sind Menschen mit all ihren Fehlern, persönlichen Eitelkeiten und mitunter Grausamkeiten. Daran ändert sich nichts, indem wir diese Menschen als Präsidenten, Richter oder Generäle bezeichnen und sie gegebenenfalls "wählen" bzw. "auserwählen". Nach meiner unmaßgeblichen Meinung hat niemand, absolut niemand irgendein natürliches oder gottgewolltes Recht, sich über andere zu erheben.
Wer nichts zu verbergen hat ...
Abschließend möchte ich noch mit einem anderen in besagtem Artikel nicht erwähnten, jedoch oft erwähnten Mythos brechen: "Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten!"
Allen Apologeten dieses dümmlichen Neusprechs möchte ich Folgendes zu bedenken geben: Gesetze ändern sich laufend. Was heute erlaubt ist, kann schon morgen verboten sein.
Um abermals Benjamin Franklin zu zitieren:
Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von alleine aufrecht.Wenn die Tünche der Zivilsation dünn ist, wie es oftmals heißt, so ist der Staat seit jeher auf Lügen, Gewalt und Zwang gebaut. Und dieser Instituation wollen Sie Ihre "Sicherheit" anvertrauen?
Und um arroganterweise mich selbst zu zitieren: "WIr naiven Idioten haben es nicht besser verdient!"
Bildquelle:
Global Unzensiert (Videoausschnitt)
(USA: 2/39 - Techmogule im Juli 2020 zum ersten Mal vor dem Senat im...)