Judith Rosmair

Judith Rosmair (Bild: © Ebby Koll)

Die Trennung zwischen Kunst und Leben ist aufgehoben

Zu Beginn liegt Rosmair auf dem Rücken, die Beine weit von sich gestreckt, der Kopf nach unten gekippt. Ohnehin mit Schlafstörungen behaftet, steigert sie sich ins Schlafdiktat und in ihre Rolle dermaßen hinein, dass daraus eine qualvoll durchwachte Nacht wird, voller Pein und Aufgeriebenheit. Das Theaterfieber hast sie gepackt, eine Ablenkung ist nicht möglich. Ihre Arbeit – in diesem Fall die Kunst – dringt gleichsam bedrohlich ins Privatleben ein und sägt an der Leichtigkeit des Seins. Die Trennung zwischen Kunst und Leben ist aufgehoben, die beiden Pole sind nun miteinander verwachsen, was ein vorzüglicher Vorgang wäre, wenn nur die Kunst nicht eine solche Schwere hätte. Judith Rosmair aber macht aus dieser unglücklichen Lebenskonstellation – und aus den Reflexionen darüber - ein Kunstwerk. Mit einer Beschleunigung der Bewegungen, abgehackt wie beim Zeitraffer, schlüpft Rosmair in einen mit Pelz verbrämten Mantel nebst Mütze, und sieht plötzlich aus wie die leibhaftige Karenina, die durch den Schnee irrlichtert, um ihren Wronskij zu finden. Und dabei hat sich die Schauspielerin in den Wronskij-Darsteller verliebt! Normalerweise würde eine derartige Liebe jegliche Zweifel und Unlustgefühle hinwegspülen, doch die Angst vor der Rolle, mit der sie sich durchaus identifizieren kann, ist stärker.

 

Im Winterpelz

© Ebby Koll

 

Der manchmal lästige Theaterbetrieb

Die von Judith Rosmair gespielte Schauspielerin ist nicht repräsentativ, aber diese Premierenangst ist bestimmt auch kein Einzelfall. Ob hier etwas Biografisches drinsteckt, lässt sich nur erahnen, sicher ist nur, dass Rosmair ihre eigene Körpergröße zum Thema macht. Immer sei sie die Kleinste gewesen, sagt die 160 cm große Frau, und viele hielten sie für magersüchtig, obwohl sie sich wie jeder andere auch ihre Mahlzeiten einverleibte. Ihre Liebe zu Karenina ist eine Hass-Liebe, die schon früh durch eine tägliche Lektüre genährt wurde, die ihr die Mutter verordnet hat. Die Mutter ist immer in ihrer Phantasie präsent, genauso wie der manchmal lästige Theaterbetrieb, bei dem sie fast zu einem Rundumschlag ausholt. Man nehme die Unterminierung der Frau – warum müssen im deutschen Theater so viele Frauen sterben? Ist das eine chauvinistische Branche?

Judith Rosmaier kooperiert mit dem Musiker Uwe Dierksen, der einige Posaunen-Passagen beisteuert, die bewusst schräge, dissonante Töne enthalten, wie um ein nightmare zu untermalen. Der Regisseur Johannes von Matuschka verdichtet Rosmairs Handschrift. Und sie selbst spielt ihre Rolle sehr leidenschaftlich und quirlig, als sei die Bewältigung der Karenina eine Lebensaufgabe, bei der es zwischen Scheitern und Triumph nichts gibt. Es ist schön, Judith Rosmaier zuzusehen. Ihre innere Glut wird mit einem Charme transportiert, der aus etwas Kleinem etwas Großes gebiert. Mehr davon.

Curtain Call!

Konzept / Performance: Judith Rosmair, Komposition, Posaune, Electronics: Uwe Dierksen, Konzept / Regie: Johannes von Matuschka, Produktionsleitung: ehrliche Arbeit – freies Kulturbüro.

Sophiensaele Berlin

Premiere am 24. März 2015

Dauer: ca. 70 Minuten

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