Sophiensaele Berlin: Kritik von "Ibsen: Gespenster" – Markus&Markus
Oswald wird von einer älteren ausgebrannten Frau gespielt, die zwecks Sterbehilfe in die Schweiz geht. Der lange Leidensweg findet ein Ende.Markus&Markus beim Gießen (Bild: © komun.ch)
Who wants to live forever
Der Freitod steht an, eine Euthanasie im positiven Sinne des Wortes. Die beiden Schauspieler können ihr Bedürfnis, lauthals zu singen, nicht länger niederhalten: Who wants to live forever. Die Sänger verzichten auf Freddy-Mercury-Posen und Sexappeal, ihre Oberkörper sind auch nicht halbnackt, aber immerhin schaffen sie es, den Schmalz des Queen-Songs abzufedern. Ausgestoßen wird der Text wie bei einer Privat-Hymne.
Die Aufführung hält sich nicht sonderlich ans Original, verwendet nur einige Brocken des Dramentextes. Auf Bühne und Leinwand gibt es zwei verschiedene Geschehen, die parallel ablaufen, aber auch ineinandergreifen. In der Bühnenmitte steht ein langer Tisch, der eine Paravent-Funktion hat und sich hervorragend eignet für eigenwillige bis kitschige Dekorationswünsche. Hier stehen vor allem Oster-Dekor, kleine Zierrate und Blumen. Letztere sind für die Schauspieler vielleicht nur blühendes Kraut, das aber seine Aufgabe als Raumfüller erfüllt. Das Team findet einen dermaßen intensiven Geschmack an der Supermarkt-Kette Netto, dass sie, neben Landschaften und anderen Dingen, gleich mehrmals auf der Leinwand auftaucht. Ebenso findet auch ein global hyperaktiver Nahrungsmittelkonzern Eingang, der wegen Ausbeutungsmechanismen und Regenwaldzerstörung in der Kritik stand: Nestlé.
In Gespensterkostümen
© komun.ch
Ein gespenstisches Leben
Die Gespenster lauern überall. "Sie sind nicht lebendig in uns; aber sie sitzen doch in uns fest, und wir können sie nicht loswerden. Wenn ich nur eine Zeitung zur Hand nehme und darin lese, sehe ich solche Gespenster zwischen den Zeilen herumschleichen. Die scheinen im ganzen Land zu leben. Sie scheinen so zahllos zu sein wie Sandkörner." So heißt es im Dramentext, und so ähnlich wird es auch deklamiert. Um dieser These Nachdruck zu verleihen, ziehen sich Markus & Markus Gespensterkostüme an und bewaffnen sich mit Säbel und einer Eisenkugel-Attrappe. Sehr bedrohlich sieht das allerdings nicht aus, es changiert eher zwischen Parodie und Karikatur.
Was vor allem auffällt, ist die Akteurin Margot, die nur auf der Leinwand auftaucht und, ob gewollt oder nicht, Lebensfreude ausstrahlt. Nichts ist so, wie es aussieht: Sie geht mit einem Lächeln in den Tod, als erlange sie dadurch ihr lang vorenthaltenes Seelenheil. Für die Zuschauer mag es danach aussehen, als würde sie noch einmal einen kurzen, aber intensiven Frühling durchleben. Selbst auf dem Schweizer Sterbebett, kurz vor dem Tod, scheint sie sich nur noch nach der ewigen Ruhe zu sehnen. Sie ist eine Frau, die sich jüngere Menschen vielleicht als Oma wünschen würden. Was Markus & Markus hier antreibt, ist eine einzige Apologie der Sterbehilfe, eine Verteidigung einer vorzeitigen Lebensabkürzung, die sich um einen "höheren Willen" und andere metaphysische Phänomen nicht schert. Nur wirkt Margots Todessehnsucht doch etwas verklärt.
Ibsen: Gespenster
Von und mit: Markus&Markus (Katarina Eckold, Lara-Joy Hamann, Manuela Pirozzi, Markus Schäfer, Markus Wenzel), Gast: Margot, Mitarbeit: Miriam Walther Kohn.
Berlin-Premiere vom 7. April 2015
Dauer: ca. 1 Stunde, 45 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)