Gute technische Grundausstattung

Die Gerichtsverhandlung beginnt, die "ausgeliehenen" Eltern bekommen Fragen von einem Richter gestellt und antworten mit Hilfe eines vorgefertigten Textes, den sie ablesen. Die Gesichter der mit dem Rücken zum Publikum agierenden Probanden sind auf einer Leinwand zu sehen, so dass ein authentischer Live-Effekt entsteht. Im Hotel haben die Eltern ihre eigenen Kinder ermordet, und der geständige Gatte, gespielt vom Kurier der gesunden Nerven, absolviert sein Programm routiniert, fast souverän. Das Paar bezieht Sozialhilfe, besitzt 5 Stereoanlagen, die noch nicht abbezahlt sind, und drei Fernseher – von etwaigen Haustieren oder einer Klimaanlage ist nicht die Rede. Bei solch einem Inventar, solch einer technischen Grundausstattung ist die Grundlage für ein bequemes Leben geschaffen, aber ein gewisser sozial erschlichener Komfort ist noch keine Garantie für ein harmonisches Miteinander. Daran hapert es offensichtlich.

 

Nur das Beste für die Kinder

Einig sind sich die Eltern nur darüber, dass die lästigen Kinder abgeschafft werden müssen: "Wir wollten nur das Beste für sie." Das wollen wohl alle Eltern, auch wenn sie ihren Nachwuchs mit falschen Erziehungsmethoden psychisch deformieren oder ganz zugrunde richten. Zynisch betrachtet wird den Kindern das Leid der Welt erspart – das Aufwachsen in extrem prekären Verhältnissen -, doch hier ist kein Platz für Zynismus. Ein Kind bekommt vom Vater eine Schere in den Rücken gerammt und wird dann von der Mutter erstickt – das ist wahrlich keine elegante, schmerzfreie Methode der Beseitigung. Der Vater handelt in cold blood, der Laiendarsteller ist von gelassener Unbeteiligtheit, als habe man nur eine Ratte weggeräumt. Im Alltag überkommen ihn Wellen von Jähzorn, einmal wirft er einen Fernseher aus dem Fenster, um sich Luft zu machen. Was den Eltern am meisten Ärger bereitet, ist eine Nachbarin, die ständig herumquengelt und sich über den Lärm aufregt. Die hätte man am liebsten auch abgeschafft.

 

Mit Außerirdischen konfrontiert

Der Regisseur Julian Klein versucht zu erkunden, ob das Abstoßende wirklich so anziehend ist und macht sich Gedanken über unsere Empathiefähigkeit. Angesichts dieser Aufführung – der reale Fall ereignete sich 1999 in Belgien – ist wohl jeder Zuschauer außerstande, irgendeine Form von Feingefühl und Einfühlungsvermögen aufzubringen. Ein Hineinversenken in die Psyche des fatalen Paars ist nur aus experimentellen Gründen, als ein bizarrer Selbsterfahrungstrip denkbar. Man nähert sich den beiden Unpersonen bestenfalls, als sei man plötzlich mit Außerirdischen konfrontiert worden, deren Lebensverhältnisse aus snobistischer Neugierde heraus interessieren. Nach dem dokumentarischen Experiment kommt es noch zu einer Diskussion, an dem neben dem Theaterteam (Matthias Neukirch, Arndt Schwering-Sohnrey, Nina Claassen) auch eine Filmemacherin teilnimmt. Eine Talk-Runde, die wenig ergiebig ist. Allein die Äußerung der ausgewählten Brachialmama, dass die geschilderten Probleme mit der Nachbarin ihr sehr nahe gegangen seien, ragt über das Diskutierte hinaus. Hier zeigt sich Betroffenheit angesichts der privaten Vergangenheit. Letztlich liefert das Institut für künstlerische Forschung ein interessantes Experiment, aus dem aber etwas mehr herausspringen könnte.

Infame Perspektiven

Von Julian Klein/!KF

Künstlerische Leitung: Julian Klein, Dramaturgie: Marion Hirte, Video: Daniel Kötter, Bühne: Rob Feigel.

Künstlerische Mitarbeit: Matthias Neukirch, Arndt Schwering-Sohnrey, Nina Claassen.

Wissenschaftliche Leitung, Konzept: Martin von Kloppenfels, Ricarda Schubotz, Julian Klein, Julia Fischer, Thomas Jacobsen, Claudia Wiedemer, Monika Wiedemer.

Sophiensaele Berlin

Premiere vom 24 .Oktober 2013

Dauer: ca. 90 Minuten, keine Pause

Bildnachweis: © Don Kommunikation

 

 

 

 

 

 

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