Devid Striesow, Ursina Lardi

Devid Striesow, Ursina Lardi (Bild: © David Baltzer)

Störungen in den Familienverhältnissen

David Foster Wallace hat seine vorgefasste Absicht, einen Roman zu schreiben, der in hundert Jahren noch gelesen wird, wahrscheinlich verwirklicht. Die US-Ausgabe von "Unendlicher Spaß" erschien 1996, 13 Jahre später kam das Buch in Deutschland auf den Markt, mit einer Länge von 1545 Seiten übrigens. Schade, dass Lensing und seine sprachlichen Mitstreiter Thierry Mousset und Dirk Pilz die politische Dimension ausgeklammert haben, mitsamt der Québec-Rebellen. Auch verzichtet der Macher auf die zunehmende, sich zuspitzende Industrialisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Lebens. Den Gipfel bildet ein Film von Vater Incandenza, der die Menschen total verblödet und in einem Maße süchtig macht, dass sie zwanghaft immer wieder diesen Streifen sehen möchten. Die Rollen sind klar aufgeteilt: Der Vater (Sebastian Blomberg) und seine drei Söhne Hal (Ursina Lardi), Orin (Devid Striesow) und Mario (André Jung) decken das Familiäre und die Tennisakademie ab, während das Schwergewicht Don Gately (Heiko Pinkowski) und die zart gebaute Jasna Fritzi Bauer dem Drogenheim zuzurechnen sind, wo auch etwas Gott für den Alltagsgebrauch eingeübt wird. Die Bühne? Sie besteht nur aus einem grauen Paravent, der an eine Betonmauer gemahnt. Das Ambiente muss man sich hinzudenken, aber die freie Fläche bietet den Schauspieler*innen ausreichend Gelegenheit, sich mit ihrem Können auszutoben, ohne sich auszuprobieren, und das tun sie denn in aller Fülle. Ursina Lardi spielt für ihre Verhältnisse durchschnittlich – und ihr Durchschnitt ist für Theaterverhältnisse immer überdurchschnittlich. Wie die Feinmechanik ihrer Gesichtsmuskeln eingestellt ist! Physiognomische Akrobatik: Selbst die facettenhaften, kleinen Züge sitzen, können sich aber schnell ins Grobe verzerren, wenn der Text es hergibt. Klar, dass ihr Hal zwischenzeitlich auch eine umtriebige, teilweise ziellose Teenager-Power verkörpert, die von Macho-Gehabe nicht ganz frei ist. Hier ist sie dargestellt, die Zerbrechlichkeit scheinbarer Gesundheit.

 

Unterreflektiert, aber glücklich

Der Ober-Macho allerdings ist Striesows Orin, der die leisen Töne nicht mag. Was Hal im Kopf und auf dem Tennis-Gelände veranstaltet, versucht Orin im Bett. Wer möchte schon so einen großkotzigen Frauenverbraucher in seiner unmittelbaren Umgebung haben, jemanden also, dem es infolge eines vermuteten kompletten Ausfalls eines maßgeblichen Gehirnareals an Empathie gebricht? Einfühlsam hingegen ist der leicht versehrte Mario, sein partieller Schwachsinn lässt Zartgefühl in ihm gedeihen und er hat das Glück, manche Dinge im Leben nicht zu registrieren. Er ist unterreflektiert und merkt nichts – deshalb ist er auch so glücklich. Sebstian Blomberg als Vater ist köstlich verspielt, einmal springt er auf dem nackten Oberkörper von Pinkowski, "weniger gebaut als gegossen", dessen Fleischberg für eine sanfte Abfederung sorgt. Gately ist in Wahrheit Big Craig in Wallace' wirklichem Leben. Der Schriftsteller wusste, wovon er schrieb: Die Freuden des Rausches und das Jammertal der Sucht. Den letzten Entzug vollendete er 1989 in einer Psychiatrie der Harvard University, dann blieb er bis zu seinem jähen Freitod clean. Die Verhältnisse in Sitzungen der Anonymen Alkoholiker sind in diese Inszenierung reichhaltig eingeflossen, Ausraster ebenso wie Augenblicke extremster Seelennot. Jasna Fritzi Bauer trägt als Süchtige einen Schleier vorm Gesicht, als wolle sie ihr von nackter Pein zerfressenes Gesicht nicht bloßstellen. Die zu starke Fokussierung auf die Drogen bringt es mit sich, dass Wesentliches unter den Tisch fällt. Diese Inszenierung ist wahrlich kein Geniewerk, sie ist reduziert, manchmal auch redundant und weist Bruchstellen auf. Aber es ist doch eine Menge dabei herausgesprungen: Ein glänzendes Schauspielertheater. Die Akteur*innen oszillieren zwischen Robustheit, Routine und Filigrantechnik. Ein exquisiter, hervorragend eingespielter Organismus reibt sich aneinander. Das freie Spiel der Kräfte, Lebensrausch und Darstellerrausch, hier ist das zu erleben, wenngleich mit etwas Kalkül.

 

Unendlicher Spaß
von David Foster Wallace

Übersetzung von Ulrich Blumenbach
Spielfassung von Thorsten Lensing (Mitarbeit von Thierry Mousset und Dirk Pilz)
Regie: Thorsten Lensing, Mitarbeit Regie: Benjamin Eggers, Bühne: Gordian Blumenthal, Ramun Capaul, Kostüme: Anette Guther, Dramaturgie: Thierry Mousset.
Mit: Ursina Lardi, Jasna Fritzi Bauer, Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Heiko Pinkowski, André Jung.
Sophiensäle Berlin, Premiere vom 22. Februar 2018.

Dauer: 4 Stunden 15 Minuten, eine Pause

 

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