SOPHIENSÆLE Berlin: Kritik von "100 Grad Berlin 2014"
Das diesjährige Festival der Freien Szene begann am 20. Februar. Daran beteiligt sind auch das Hebbel am Ufer und das Ballhaus Ost.Theaterlabor Bremen (Bild: © Joerg Salbach)
Auf zur Schlacht
Im Hochzeitssaal machen Karu & Maike Reklame für die Transsexualität, da patriarchalische Systeme und die Zweigeschlechtlichkeit angeblich stets zu Repressionsmaßnahmen führen. Ihre Inszenierung heißt "Auf zur Schlacht! Versuch: XY" und thematisiert den Kampf der Amazonen gegen die Griechen. Und die Liebe Penthesileas zu Achilles. Wir sehen Jalousien-Wände mit Aufschriften und eine Amazonenkonfrontation, im Hintergrund läuft ein Video. Gleichzeitig findet ein Kampf für die virtuelle Vermischung von Testosteron und Östrogen statt, damit ein Hermaphrodit herauskomme, der sich in die heutige Gesellschaft hineinfinden kann. Immer wieder werden Dämpfe versprüht, die auch ins Publikum schweben und beinahe die Brechreiz-Schwelle erreichen. Einmal versteckt sich Penthesilea in einem Kasten, während Achilles, völlig viril aussehend, mit Basecape auftaucht. Die beiden Akteurinnen verteilen eine vierseitige Schrift, die sich gegen ausgeübte Machtformen und die Degradierung zum Gehorsamssubjekt wendet. Das Ganze wird wissenschaftlich untermauert, vor allem mit Zitaten von Michel Foucault. Karu & Maike gehen bei ihrem Einsatz für Chromosom-Verschiebungen hart an die Grenze. Leider ist viel nur heiße Luft, Rauch ohne Feuer.
Selbstironie und Sarkasmus
Ganz anders Alexander Schröder, ein von- & mit-Akteur, der mit "Das Tier in mir" im Festsaal auftreten darf. Er tritt an mit glatzenähnlichem Stoppelschnitt, im Anzug und mit frisch geputzten Turnschuhen. Ein Meister der Selbstironie und des Sarkasmus. Einer, der von der Wiederbelebung des Animalischen Bericht erstattet. "Er nennt's Vernunft und braucht's allein/Nur tierischer als jedes Tier zu sein" (Goethe). Hier wird der Verstand nicht als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit benutzt. Er ist nur ein Instrument, um die Bestie Mensch zu forcieren. Nicht die Seele ist das Ziel, sondern der Abgrund, inklusive das Sich-selbst-Testen. Das Hineinblicken in den inneren Abgrund mit dem Ziel des offensiven Verletzens. Das Leben als Spiel: Die Figur nimmt einen Rechtsradikalen bei sich auf und dessen Freundin gleich mit, aber am Ende wird alles relativiert. Kein Mensch ist illegal. Dies ist eine vordergründige Zurückfindung zur Moral. Aber wenn die Vernunft nur dazu verwendet wird, feinnervig differenzierte Boshaftigkeiten auszusinnen, ist die Moral gänzlich ausgelöscht. Der Untergang nicht nur des Abendlandes, auch des Morgenlandes. Und die ganze abendländische Philosophie der Moral wird über den Haufen geworfen, alles wurde umsonst geschrieben. Nun, Alexander Schröder ist fast ein publikumswirksamer Demagoge, dieses Talent hat er.
1000 Berlin 2014
Vom 20. Februar – 23. Februar 2014
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)