Ein Fahnenmeer in Europa

Ein Fahnenmeer in Europa (Bild: © Michael Bennett)

Euro-Schwarm und Youropa

Lajos Talamonti

© Michael Bennett

 

Ein Interrobang ist eine Kombination aus Fragezeichen und Ausrufezeichen. Hinterfragt und ausgerufen wird viel an diesem Abend, beispielsweise auch europäische Grüße als eine Art Einleitung. Die Figur von Nina Tecklenburg proklamiert ein Europa mit Verordnungen, sie fordert eine alternative Organisationsform. Ein Euro-Schwarm könnte das Ziel sein, mit materiellen und geistigen Transferleistungen, kurz ein Youropa. Ein Kollege spricht von einer Lottokratie, bei der Ämter verlost werden zwecks Verhinderung von Korruption und Elitenherrschaft. Die Ideen für Europa werden zunehmend verworrener, selbst eine posttraumatische Union, in der um die Liebe konkurriert werden soll, ist anvisiert. Immerhin, die Akteure von Interrobang haben eine ausschweifende Phantasie, die Abschweifungen mit einbezieht. Zu bieten hat das Kollektiv drei Parteien (die Blauen, Gelben und Roten), die von je einem Politiker angeführt werden. Die Zuschauer können mit DIN A5-großen Karten für die von ihnen favorisierte Partei abstimmen.

 

Grenzenloser Gefühlsverkehr

Den Utopien sind keine Grenzen gesetzt, Hauptsache, sie werden nicht zur Dystopie, zu einem alles verschlingenden Moloch. Während die von Lajos Talamonti diktierten Roten von immunisierten Originalen, von einer freien Fahrt für sexy Bürger entflammt sind, präferieren Till Müller-Klugs Blaue einen grenzenlosen Gefühlsverkehr. Auch die Flüchtlingspolitik ist stark emotional eingefärbt: Asyl-Art-Hotels werden genauso zur Bedingung erhoben wie ein Flüchtlingsmarkt. Die gelbfarbene Nina Tecklenburg, die schließlich das Rennen macht und die Regierung bildet, schwadroniert in Bezug auf Feste von einem Karneval der Mentalitäten.

 

Die Europa-Idee bleibt aufrechterhalten

Die Akteure verschwimmen in den Fahnen

© Michael Bennett

 

In der Tat erinnern die Vorschläge der Kandidaten, mit denen sie die Wähler (die Zuschauer) gewinnen wollen, an programmatische karnevaleske Selbstinszenierungen. Ein wahrhaft realistischer Antrag fällt der umtriebigen Politikerin zum Glück noch ein: Die Arbeitsumverteilung, wer zu viel arbeitet, gibt sie einfach an geringer Ausgelastete ab. Da das nicht auf freiwilliger Basis geschehen kann, wäre das eine Angelegenheit des interventionistischen Staates, dem es vor allem um den Wohlfühlcharakter geht. Also doch keine freien Bürger, sondern ein dirigistischer Staat. Letztlich wird die Gelbe wegen halben Versagens abgelöst durch den Roten, der ein neues Zeitalter, eine neue Ära anzukündigen scheint. Einmal verschwimmen die Figuren in einem Fahnenmeer, die Europa-Idee erhält eine neue Blüte. Der Neue möchte Frankreich nach Europa zurückholen, aber in seiner Amtsperiode fliegt Griechenland raus, zum Entsetzen des Publikums, das laut ‚Schiebung' ruft. Die emotionale Beteiligung der Zuschauer ist erstaunlich, davon lebt der Abend, obwohl er mitunter die Konturen eines Kindergeburtstages streift. Nina Tecklenburg sagt einmal: Der Umweg ist das Ziel. Fast möchte man meinen: Die Zerdehnung. Geradlinigkeit ist Interrobangs Sache nicht, die Unterhaltung ist das Wichtigste. Leider ist auch irgendwann die Originalität erschöpft und Langatmigkeit breitet sich aus. Dennoch ist es eine nicht uninteressante Performance, die frei ist von didaktischen Vorgaben.

Preenacting Europe

von Interrobang

Regie: Interrobang, Dramaturgie: Lisa Großmann, Tom Mustroph, Europhone: Georg Werner, Bühne, Kostüm: Sandra Fox, Video: Florian Fischer.

Mit: Till Müller-Klug, Nina Tecklenburg, Ekkehard Ehlers, Lajos Talamonti. Und: Dorothea Schmans (Schiedsrichterin), Flavio Ribeiro (Dolmetscher).

Sophiensaele Berlin

Premiere vom 23.Mai 2014

Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

 


 

Laden ...
Fehler!