SOPHIENSӔLE Berlin: Kritik von "Regie" – Monster Truck
Drei Schauspieler mit Down-Syndrom, die gleichzeitig Regie führen, spielen auch die Regie. Herausgekommen ist ein Abend mit leicht diktatorischen Zügen.Oliver Rincke im Regiestuhl (Bild: © Florian Krauss)
Aufwallungen von Megalomanie
Die drei Regisseure Oliver Rincke, Sabrina Braemer und Jonny Chambilla scheinen einen veritablen Machtrausch zu haben und ihn bis zum Rand auszukosten. Wie sie schon dahergefahren kommen in ihren technisch versierten Regiestühlen, chefmäßig und professionell! Am coolsten wirkt Oliver Rincke, der sich besonders gut mit seiner Rolle identifiziert und ganz darin aufgeht. Es ist die große Geste, mit der er Akzente zu setzen weiß. Sabrina Braemer setzt ganz auf die Kraft ihrer Autorität und manövriert sich in eine Machtrolle, die ihr niemand nehmen kann, nicht einmal aus Verweigerungsgründen. Die gesamte Inszenierung erscheint wie eine Gegenreaktion auf den Vorwurf, als Behinderte nur ausgestellt und benutzt zu werden. Jetzt sind sie es, die benutzen, und das nach Kräften. Dabei schießen sie übers Ziel hinaus und zeigen Aufwallungen von Megalomanie, was eine Szene mit Jonny Chambilla verdeutlicht.
She's Got The Jack
Die nichtbehinderte Elisia Sky spielt eine Art Sex-Lady, die, stark tätowiert und äußerst karg gekleidet, an einer Stange herumhangelt und zur Erotik-Poseurin wird, wie es in einschlägigen Nachtclubs üblich ist. Das ist ganz nach dem Geschmack von Jonny Chambilla, der über der Darstellerin auf einer großen Leinwand zu sehen ist und Anweisungen gibt. Während sie ihren pornostrategischen Tanz abliefert, läuft ein Stück von AC/DC, und zwar "She's got the jack". In diesem Song bekommt also eine Frau einen Tripper, und "er" bringt sie zum Weinen und Schreien, begehrt ihr großes schwarzes gebrauchtes Loch und verliebt sich in die schmutzige, kleine Schlampe. So der Text – wäre er damals in Deutsch gesungen worden, hätte es das Lied nie bis ins Radio geschafft.
Keine Anstalt für Voyeurismus
Es wird auch gefährlich
© Florian Krauss
Besser kann man eine Frau wohl kaum degradieren. Nun mag man sich an den wohlgeformten nackten Brüsten von Elisa Sky delektieren, aber das Theater ist keine Anstalt für Voyeurismus, die Onanievorlagen liefert – wenn es sich nicht gerade um einen lüsternen Regisseur handelt. Man kann der Truppe hier den Vorwurf des Sexismus nicht ersparen, selbst wenn man keinesfalls zur Sektion der Prüden gehört. Es kommt noch schlimmer: Die Schauspielerin erhält die Order, sich den Hintern mit Sahne einzuschmieren. Die Zuschauer sehen nun, wie der entfesselte Jonny Chambilla ihr den bekleckerten Po ableckt. Aufgrund der Machtverhältnisse kann sich der Regisseur seine geheimsten Wünsche live gestatten. Aber eine weitere Erniedrigung lässt Elisa Sky nicht mit sich machen, sie weigert sich wie ein Pferd vor einer scheinbar unüberwindlichen Hürde. Das ist freilich einstudiert, anders als bei den Laiendarstellern aus dem Publikum, die gar nichts anderes können als mitzumachen, will man doch den Verlauf der Performance nicht konterkarieren. Beim Finale werden Zuschauer auf die Bühne gebeten, auf zum Tanz! Es läuft Schlagermusik, mit der man einige Menschen jagen kann. Allmählich leert sich der Festsaal, allein die Bühne ist noch gefüllt mit den Party-Aktivisten. Egal ob nun behinderte oder nichtbehinderte Darsteller auf die Bühne stehen – es bleibt angesichts des abstoßenden Ausspielens von Macht ein leicht bitterer Nachgeschmack.
Regie
Regie: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Oliver Rincke. Dramaturgie: Marcel Bugiel, Video: Kai Ehlers, Musik: Mark Schröppel.
Es spielen: Sabrina Braemer, Jonny Chambilla, Oliver Rincke, Elisia Sky, Saro Emirze.
Eine Produktion von Monster Truck und Theater Thikwa und weiteren Kooperateuren.
Premiere am 17. April 2014, Kritik vom 18. April 2014
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
Bildquelle:
Ruth Weitz
(Lilli Chapeau und ihr kleinstes Theater der Welt in Miltenberg)