Steht Frankreich unter Präsident Macron vor einer Revolution?
Der neue französische Präsident Emmanuel Macron will zunächst Frankreich und dann die Europäische Union grundlegend reformieren. Wichtigster Partner ist dabei für ihn Deutschland.Die "Philosophie" des Emmanuel Macron
Traditionell gilt im Parteienspektrum ein "Rechts/Links-Schema". Das heißt: Eine Partei gilt gemeinhin aufgrund ihrer politischen Positionen als eher rechts – und damit ist gemeint: arbeitgeberfreundlich – oder als eher links, und das heißt: arbeitnehmerfreundlich. Macron hält nach eigenem Bekunden diese Spaltung in zwei konträre politische Lager für überholt und möchte sie daher überwinden. Er ist auch davon überzeugt, dass sich scheinbar konträre Positionen bei gutem Willen aller Beteiligten miteinander versöhnen lassen. Und zwar hat Macron diese Zuversicht, dass sich scheinbar Widersprüchliches vereinbaren lässt, von dem Philosophen Paul Ricoeur übernommen, dessen Schüler er einst war.
Die fernab des traditionellen "Rechts/Links-Schemas" zu verortende ideologische Ausrichtung seiner Partei bezeichnet Macron als Progressivismus. Damit ist eine politische Philosophie gemeint, die in der Zeit der Aufklärung als Reaktion auf die damals stattfindenden gewaltigen politischen und sozialen Umbrüche entstanden ist, mit dem Ziel, die politischen und sozialen Veränderungen in eine dem gesellschaftlichen Fortschritt dienende Richtung zu lenken. Macron hat sich also eine politische Philosophie zu eigen gemacht, durch deren Verwirklichung er die Demokratie radikal verändern möchte, um den gesellschaftlichen Fortschritt erheblich zu beschleunigen. Und wichtigstes Mittel ist dabei für ihn die Überwindung von Interessenskonflikten.
Das Programm der neuen französischen Regierung
Die politischen Ziele, die Präsident Macron verfolgt, werden konkret in dem Programm, mit dessen Hilfe die neue französische Regierung die Politik in den nächsten Jahren gestalten will. So enthält das Programm gemäß dem Anspruch, das traditionelle politische Lagerdenken zu beenden, sowohl Vorhaben, die eher dem "linken" politischen Spektrum zugeordnet werden, als auch Vorhaben, die als eher "rechts" gelten.
So gibt es hier Elemente klassischer Konjunkturprogramme, die politisch gemeinhin als "links" bezeichnet werden. Und zwar sollen verteilt über einen Zeitraum von fünf Jahren 50 Milliarden Euro in die Fortbildung von Arbeitnehmern, den ökologischen Umbau der Gesellschaft, in die digitale Revolution und die städtische Sanierung investiert werden. Als "links" würde man auch die Vorhaben bezeichnen, Arbeitslose aus benachteiligten Stadtgebieten gezielter zu fördern, das Rentenniveau und das -eintrittsalter nicht anzutasten und Unternehmern Strafen anzudrohen, die ihren Belegschaften trotz guter Geschäftslage unbefristete Arbeitsverträge verweigern.
Als eher "rechts" würde man die angestrebten weitreichenden Strukturreformen etikettieren. Hier geht es zum einen um eine Liberalisierung des Tarifrechts. So soll in Unternehmen künftig von der Belegschaft individuell über Arbeitszeiten, Löhne und die Bezahlung von Überstunden abgestimmt werden können. Bisher wurde das branchenweit einheitlich geregelt. Macron erhofft sich davon eine größere Flexibilität. Die 35-Stunden-Woche bleibt allerdings die Richtschnur.Macron will ferner die Unternehmenssteuern von 33,3 % auf 25 % senken und plant eine Reform der Vermögenssteuer, die Kapital, das investiert wird, von der Besteuerung ausnimmt, außer bei Immobilieneinkünften. Zum anderen soll die Arbeitslosenversicherung künftig nicht mehr aus Abgaben, sondern aus Steuern finanziert werden, um so Arbeitskosten zu reduzieren. Arbeitslosenunterstützung sollen künftig auch Selbstständige und Freiberufler beziehen können sowie Arbeitnehmer, die selbst kündigen. Gleichzeitig soll der Druck auf Arbeitslose verstärkt werden, Jobs anzunehmen.
Hinzu kommt die Vereinheitlichung und Vereinfachung des Rentensystems. So plant Macron den Aufbau eines universellen Rentensystems, das die 37 speziellen Rentensysteme ersetzt und gleichermaßen für Beamte wie Angestellte gilt. Im Öffentlichen Dienst sollen 120 000 Stellen abgebaut und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro eingespart werden. Man könnte die Reformvorhaben der neuen französischen Regierung folgendermaßen zusammenfassen: Gezielte Förderung der sozial Schwachen, für die Unternehmen mehr Freiheit und Steuerentlastungen, Eindämmung der ausufernden staatlichen Bürokratie. Das alles dient der Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit.
Die Moralisierung der Politik
Ein wichtiges Anliegen von Präsident Macron ist auch, das moralische Niveau im Politikbetrieb anzuheben. So plant er ein Gesetz über die Moralisation de la vie politique, also über die Moral im politischen Leben. Damit soll es Parlamentariern verboten werden, Familienmitglieder zu beschäftigen. Und jeder Politiker soll angeben, mit welchen Institutionen, Firmen oder Vereinen er in Verbindung steht, um Interessenskonflikte zu vermeiden. Nebenjobs als Berater oder Coach sollen grundsätzlich nicht mehr erlaubt sein. Grundsätzlich sollen Privilegien in der Politik abgebaut werden.
Ein politischer Apparat neuen Typs
Auch die Struktur von Macrons Partei "La République en Marche" und die Zusammensetzung der dem Parlament angehörenden Parteimitglieder sowie der Regierung sind Ausdruck des neuen Denkens, des Mentalitätswechsels, mit deren Hilfe Macron die Politik grundlegend erneuern will. So soll die Partei alle gesellschaftlichen Schichten und politischen Lager integrieren, und ihre Mitglieder können gleichzeitig in anderen republikanischen Parteien Mitglied bleiben. Die Hälfte der Parlamentsabgeordneten sollten politische Laien sein, die noch nie ein gewähltes Amt innehatten.
Entsprechend gehören auch der Regierung gleichermaßen traditionell linke wie rechte Politiker sowie "Newcomer" an. Dabei wird die junge tonangebende Elite um Macron unterstützt durch erfahrene Politiker. Außerdem sind Männer und Frauen zu gleichen Teilen vertreten. Der größte Coup aber ist Macron mit der Ernennung des bekanntesten Umweltschützers des Landes zum Umweltminister gelungen. Insgesamt ist Macron also das Kunststück geglückt, eine Regierungsmannschaft zu formen, bei der die Grenzen zwischen den bisherigen politischen Lagern, zwischen den Generationen und Geschlechtern sowie zwischen "Politprofis" und politischen Neulingen überwunden worden sind.
Macron – der Pro-Europäer
Was viele Franzosen, aber auch viele Menschen im befreundeten Ausland gleichermaßen fasziniert, ist die Tatsache, dass Macron zwar Frankreich wieder stark und selbstbewusst machen will, dass dies für ihn aber nicht gleichbedeutend ist mit Nationalismus und Abschottung nach außen, sondern dass er dies verbindet mit Weltoffenheit und dem Plädoyer für ein starkes Europa. Kurz und gut: Macron ist ein entschiedener Pro-Europäer, und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass er die Europäische Union ähnlich radikal reformieren möchte wie Frankreich, damit auch diese wieder zu alter Größe zurückkehrt. Priorität hat für Macron in diesem Zusammenhang eine Ausweitung der Kompetenzen der EU. So wünscht er sich für die 19 Länder der Euro-Zone einen gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzminister, ein eigenes Budget für Investitionen in Höhe von mehreren 100 Mrd. € sowie ein eigenes Parlament, das darüber die Kontrolle ausübt. Ein europäischer Verteidigungsfonds soll neue Ausrüstungen für die EU-Staaten finanzieren, und es soll ein permanenter Sicherheitsrat eingerichtet werden, in dem über europäische Sicherheitspolitik entschieden wird. Außerdem soll Brüssel gegen die Steuerflucht von multinationalen Firmen kämpfen und die Unternehmenssteuern in allen EU-Staaten vereinheitlichen. Ferner will Macron die Bürger in Europa mobilisieren, Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. Bei all diesen Projekten sollen Deutschland und Frankreich eng zusammenarbeiten und eine Vorreiterrolle spielen.
Schlusswort
Wenn man sich fragt, wo der neue französische Präsident Emmanuel Macron ideologisch zu verorten ist und was für eine Politik man deshalb von ihm erwarten kann, so wird man eine Antwort auf diese Fragen nur finden können, wenn man sich von alten, liebgewordenen Denkgewohnheiten trennt. Um ein Beispiel zu nennen: Macron war selbst Investmentbanker. Sofort kommt reflexartig die Unterstellung, dass er primär die Interessen der Besitzenden im Auge hat. Aber: Macron prangert selbst die Auswüchse des Turbokapitalismus und die wachsende Einkommensungleichheit an und versteht sich als Anwalt der sozial Schwachen und Abgehängten. Und auch sein Regierungsprogramm erscheint aufgrund der hohen Summen, die in die verschiedensten Projekte investiert werden sollen, als "linkslastig" – um noch einmal das traditionelle politische Etikett aufzugreifen.
Man könnte deshalb vermuten, dass hier tatsächlich ein Präsident versucht, statt als eine Marionette dem Kapitalismus zu dienen, dessen Potenziale umgekehrt im Interesse der Bevölkerung zu nutzen, also die produktiven Kräfte des Kapitalismus in fortschrittliche Bahnen zu lenken. Und das alles ist offensichtlich auch noch gedacht als "Blaupause" für ganz Europa. Da kann man Präsident Macron nur wünschen: "Bonne chance!"
Quellennachweis:
https://de.wikipedia.org/wiki/La_R%C3%A9publique_en_Marche
https://de.wikipedia.org/wiki/Emmanuel_Macron
http://www.dw.com/de/die-revolution-des-emmanuel-macron/a-39010191
Bildnachweis:
Alle Bilder: pixabay.com