Ursachen für Homosexualität bei heterosexuellen Männern - Situative Homosexualität

Ein für die Wissenschaft höchst interessantes Thema ist die situative Homosexualität, die auch als Gelegenheits- oder Notstandshomosexualität bezeichnet wird. Die Ergebnisse, die Stephen Donaldson während seiner Untersuchungen in den 1980er Jahren erarbeitete, sind interessant und helfen zu verstehen, wie es zu situativer Homosexualität kommt.

Selbstverständliche homosexuelle Kontakte

Bei seinen Untersuchungen, für die er mehrere Male in amerikanische Gefängnisse ging, erlebte Donaldson immer wieder eigentlich heterosexuell veranlagte Männer, die im Gefängnis ganz selbstverständlich Beziehungen zu Männern unterhielten. Donaldson wollte herausfinden, warum dies so war und versuchte zu ergründen, ob die Betroffenen beispielsweise eine heimliche homo- oder bisexuelle Neigung hatten oder gar unter Zwang handelten.

Homosexualität als akzeptierte Lebensform auf Zeit

Stephen Donaldson interessierte auch, warum solche Beziehungen zwischen zwei Männern im "Lebensraum" Gefängnis akzeptiert wurden, obwohl doch gerade in amerikanischen Gefängnissen der Machismus weit verbreitet war, die Insassen sich tagtäglich als "ganze Männer" beweisen mussten. Bei seinen Nachforschungen stellte er fest, dass schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts bekannt war, dass es sowohl einen Anteil von Männern gab, die nie gleichgeschlechtliche Aktivität zeigten, unabhängig davon, wie lange sie auf heterosexuelle Kontakte verzichten mussten. Im Gegensatz dazu gab es aber auch Männer, die sich auf homosexuelle Kontakte einließen.

Die jeweilige Lebenswirklichkeit gibt den Ausschlag

Inzwischen gilt es als erwiesen, dass die Erscheinung homosexueller Kontakte heterosexueller Männer hauptsächlich dort verortet werden kann, wo Menschen des gleichen Geschlechts zusammenleben, beispielsweise auf Schiffen, in Gefängnissen oder auf Bohrplattformen. An diesen Orten ist es zumeist schwierig, die eigene Sexualität auszuleben, da man über einen längeren Zeitraum vom heterosexuellen Partner getrennt ist. Die situative Homosexualität wirft natürlich die Frage auf, in welchem Maße ein solches Sexualverhalten Ausdrucksform innerer Wünsche ist und wie stark es durch äußere Umstände beeinflusst ist.

Sexualität ist ein komplexes System

Eine grundlegende Überzeugung der Wissenschaft ist, dass sexuelle Handlungen, die der eigenen Orientierung widersprechen, diese nicht verändern. Zudem ist erwiesen, dass homosexuelle Kontakte bei heterosexuellen Männern vor allem in ihrer sexuell aktivsten Lebensphase vorkommen. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die europäisch geprägte Kultur, sondern auch in anderen Kulturkreisen.

Homosexuelle Handlungen als notwendiger Beweis für Männlichkeit

Die Erkenntnis, dass homosexuelle Kontakte heterosexueller Männer sehr häufig nicht als Homosexualität beziehungsweise als homosexuell im eigentlichen Sinn verstanden wurde und wird, war auch für Stephen Donaldson neu. Bei seinen Gefängnisaufenthalten erkannte er zudem, dass es eine strikte Trennung zwischen aktiver und passiver Rolle gab. Der anale Geschlechtsverkehr eines Mannes mit einem anderen Mann wurde gerechtfertigt als typisch männliche Verhaltensweise. Ein Hintergrund war die allgemein erwartete Bereitschaft, die eigene Männlichkeit durch sexuelle Eroberung zu zeigen.

Triebbefriedigung oder sexueller Missbrauch in der Kindheit als Ursachen

Die von Stephen Donaldson beschriebene situative Homosexualität und die beobachteten homosexuellen Kontakte unter Gefangenen können aber auch sehr viel tiefere Ursachen haben. Die Tatsache, dass sich ein Mann auf gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken einlässt, kann auch in vorher erlebtem sexuellem Missbrauch ihre Ursache haben. Manche Gefangene vollziehen während ihrer Haft eine Art Anpassungsprozess, haben ihr persönliches homosexuelles "Coming-out" oder leben nach ihrer Haftentlassung zumindest bisexuell weiter. Aus diesem Grund versuchen viele Männer intensiv, eine Beziehung zu beginnen, denn diese Beziehungen verheißen zum Einen Triebbefriedigung, zum Anderen entwickelt sich nicht selten im Laufe der Zeit eine Art Liebe. Die Beziehung wird zu einem privaten Ort, an dem man sich der herrschenden Konkurrenz entziehen und auch gefahrlos Gefühle äußern kann.

Der Journalist Sascha Blättermann befasst sich in einem Artikel über Stephen Donaldson, einem US-amerikanischen Homo-Aktivisten und Dozent an der Columbia University, mit dessen Forschungsergebnissen. Zu den Hintergründen von Donaldsons Forschungsarbeit gehört sicher die Tatsache, dass er (nach eigenen Angaben) in den 1970er Jahren während eines Gefängnisaufenthaltes von 45 Männern gleichzeitig vergewaltigt wurde.

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