Einsames Sterben in unserer Gesellschaft - Begleitetes Sterben

Neuere Statistiken besagen, dass über 80% aller Sterbenden diesen letzten Wegabschnitt ihres Lebens allein und außerhalb ihres gewohnten Umfeldes  zurücklegen müssen. Die personelle Not in den Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie die berufliche Belastung von Angehörigen verhindern heutzutage eine intensive Begleitung sterbenskranker Menschen.

Sterben gehörte früher zum Familienalltag

Bevor die industrielle Revolution die Gesellschaftsstrukturen veränderte und die Kleinfamilie zum Standard werden ließ, lebten Familien in den meisten Fällen in Mehr-Generationen-Verbänden, d.h. eine Familie bestand nicht nur aus Eltern und Kindern, sondern auch die Groß- bzw. Urgroßeltern lebten mit unter einem Dach. Durch diesen Umstand sowie die früher höhere Kindersterblichkeit wurden Familien sehr viel häufiger mit dem Sterben eines Familienmitgliedes konfrontiert. Zudem war die medizinische Versorgung durch Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime nicht soweit fortgeschritten wie heute. Aus diesen Gründen lag die Versorgung von alten und kranken Familienmitgliedern ausschließlich in der Hand der Familie.

Familie als Lebens- und Sterbensgemeinschaft

Wurde ein Mitglied der Großfamilie krank oder lag im Sterben (was im Durchschnitt alle drei Jahre der Fall war), war es selbstverständlich, dass die jüngeren Mitglieder der Familie die Pflege übernahmen und den Patienten auf diese Weise begleiteten. Dabei ging es nicht nur um rein medizinische oder pflegerische Aspekte, sondern auch und vielleicht vor allem darum, dem Sterbenden zu zeigen, dass er diese letzte Wegstrecke nicht allein zurücklegen muss. Er konnte die ihm verbleibende Zeit im Kreis und der Gesellschaft derer verbringen, die mit ihm in enger Beziehung standen. So war die Familie nicht nur eine Lebens-, sondern auch Sterbensgemeinschaft im besten Sinne.

Die Großfamilie verlor in der Gesellschaft ihre Bedeutung

Die Veränderungen in der Gesellschaft haben auch die Einstellung dem Sterben und Tod gegenüber sehr stark beeinflusst. Durch die industrielle Revolution, die entstehenden Fabriken und die damit verbundenen Spezialisierungen einzelner Berufszweige wurden die Familien, die früher als Großverband lebten und arbeiteten, in kleinere Einheiten zerschlagen. Junge Familien zogen vom Land in die Stadt, arbeiteten in sich immer stärker aufsplittenden Berufsgruppen und die Großfamilie verlor zunehmend an Bedeutung. Hohe Arbeitsbelastung, Schichtdienst und unterschiedliche Arbeitgeber von Mann und Frau taten ihr Übriges, sodass Familienleben kaum noch möglich war.

Die Gesellschaft hat das Sterben zu einem Tabuthema gemacht

In den vergangenen anderthalb Jahrhunderten hat sich die Gesellschaft dahingehend verändert, dass Leistung zu einem immens wichtigen Aspekt geworden ist. Heute definieren sich viele Menschen einzig über ihre Leistungsfähigkeit. Wer nicht zu Höchstleistungen in allen Bereichen des Lebens im Stande ist, der wird aussortiert und gilt schnell als unproduktives Mitglied der Gesellschaft.

Die Folge solchen Denkens ist, dass man sich mit Themen wie Schwäche, Alter oder gar Sterben nicht mehr auseinandersetzen möchte. Alles, was damit zu tun hat, wird aus dem eigenen Blickfeld verbannt. Ein Beispiel hierfür können Stadtfriedhöfe sein, die oft am Rande liegen und eher an Parkanlagen erinnern, als an Bestattungsorte. Im Zuge dieses Verdrängungsverhaltens wurden und werden zunehmend auch kranke oder sterbende Familienmitglieder aus dem eigenen Blickfeld entfernt. Wozu gibt es Alten- und Pflegeheime.

Der Dienst der Sterbebegleitung wird in fremde Hände gelegt

Natürlich ist es aufgrund beruflicher oder familiärer Anforderungen schwierig, sich zusätzlich um einen sterbenden Menschen zu kümmern. Das funktioniert oft schon rein raumtechnisch nicht. Das ist auch nicht das Entscheidende. Es geht um die Begleitung, die sich neben medizinischen und pflegerischen Notwendigkeiten ereignet. Leider sind die Erfahrungen vieler Seelsorger folgende: Die Schwestern und Pfleger können eine angemessene, menschlich wertvolle Begleitung aufgrund eigener Belastungen gar nicht leisten und müssen sich auf die rein pflegerische Versorgung beschränken. Viele Kranke bleiben oft wochenlang unbesucht, die Angehörigen scheuen sich vor der Nähe zum Sterbenden und kommen oft erst im allerletzten Augenblick oder wenn es bereits zu spät ist.

Eine gelingende Sterbebegleitung verlangt ein neues Bewusstsein

Das Sterben eines Menschen ist sicher die schwierigste Wegstrecke des Lebens, gehört aber zum natürlichen Kreislauf menschlicher Existenz. Dieses, bei vielen verloren gegangene und neu zu weckende, Bewusstsein ist Grundvoraussetzung dafür, dass jeder Mensch auf dem letzten Wegstück seines Lebens Begleitung erfährt. Vor allem die Nähe der Menschen, die einem wichtig sind, trägt letztlich dazu bei, dass der Sterbende dem Tod ohne Angst begegnen kann und sich bis zuletzt geborgen fühlt. Denn nichts ist schlimmer, als einsam auf den Tod zu warten.

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