Einer, der das Groteske anzieht und immer wieder danach sucht

Was macht diesen Dauer-Looser Aldo so interessant? Nun, im Grunde ist er ein Intellektueller mit ausschweifender Phantasie, ein Philosoph gar, aber der abgründigste, den man sich vorstellen kann. Von dieser unästhetischen Figur geht trotz des chronischen Erleidens von Schiffbrüchen ein poetischer Zauber aus. Der parasitäre Exzentriker, immer auf der Suche nach unerschlossenen Märkten, hat sich in einer Welt der Bizarrerie und des Morbiden eingenistet, ohne irgendein Gefühl für Normalität oder Alltäglichkeit zu besitzen. Schon als Schüler wird er als angeblicher Vergewaltiger verfolgt, später wird er wegen Mordes inhaftiert, ein spektakulär inszenierter Selbstmordversuch scheitert kläglich. Psychischen Halt gibt ihm die zunächst hingebungsvoll liebende Musikerin Stella, die bald einen anderen hochzeitet, ein Ereignis, bei dem Aldo sich über Gebühr danebenbenimmt. Als Platzanweiser engagiert, hält er bei dieser buddhistischen Hochzeit besoffen eine unaufgeforderte antibuddhistische Rede, kippt um und fällt in eine Kuchengabel, die seine Halsschlagader verletzt. Nach dem Küssen einiger nackter Schultern schlägt er aus Versehen die Braut und landet schließlich delirierend unterm Tisch. Dies ist nur ein Sequenz unter vielen, die seine Misere exemplifiziert.

 

Buchcover

© DVA

 

Gestutzte Flügel eines Hochbegabten

Es kommt zu etlichen Gesprächen zwischen Aldo und Liam, die aus der Sicht von Liam geschildert werden. Nur einmal wird ein Kapitel eingebaut, in dem Aldo, innere Stimmen hörend, seinen Horizont in der Ich-Form ausbreitet. Rein rhetorisch betrachtet sind Aldo Flügel gewachsen, aber gestutzte, da er sich in der Welt der Absurditäten verliert. Ganz nebenbei, scheinbar still und unauffällig platziert Toltz einige Passagen über die aktuellen Bösartigkeiten der australischen Gesellschaft, die angesichts dieser Arteriosklerose eine dringende Revitalisierung bräuchte. Sprachlich entzündet Steve Toltz ein Feuerwerk ohnegleichen, der Roman ist urkomisch, spritzig und ungemein wortgewaltig. Der Dichter ist ein König der geistreichen Aufzählungen, die sich kaskadenhaft ins Gehirn des Lesers bohren und Phantasien entfachen, eines strapazierten Lesers übrigens, der sich mitunter wegen der Abgeschmacktheiten abwenden mag. Immerhin wird der Meister des sich selbst Zugrunderichtens, der Krüppel – man traut ihm in der Endphase trotz intervallartiger Bordell-Besuche kein taugliches Genitalsystem mehr zu – zu einer Art Ikone. Zuletzt auf einer Insel lagernd und dahinsiechend, wird er zu einem Anziehungspunkt von Schriftstellern, Fotografen und vor allem bildenden Künstlern, die durch fortwährende Porträtierung des Gescheiterten ihm einen gewissen Bekanntheitsgrad sichern. Aber ein solche Sicherung verhindert nicht seinen Tod noch im Leben.

Steve Toltz: Fließsand oder eine todsichere Anleitung zum Scheitern. München, DVA 2016, 525 Seiten.

 

Laden ...
Fehler!