'Stolz und Vorurteil' mit Keira Knightly und Matthew MacFadyen stieß bei vielen Fans des Romans auf Ablehnung

Kurz nach seinem Erscheinen erhielt Joe Wrights Adaption von Stolz und Vorurteil viele ablehnende Reviews von enttäuschten Austen-Fans. Sie fanden die Kleidung der Bennet-Schwestern nicht stilecht genug und das Ambiente unpassend, da zu bäuerlich. Hartgesottene Romanleser störten sich wohl auch am leicht veränderten Handlungsablauf. Professionelle Kritiker in den Medien gingen gnädiger mit dem Film um, einige waren gar begeistert.

Das Dilemma der Verfilmung von Jahrhundertromanen – ein Balanceakt zwischen Neuerfindung und Wiedererkennen

Wer ein Buch liebt, ist ein besonders kritischer Kinobesucher. Vielleicht hat er das Buch schon so oft gelesen, dass er jede Einzelheit auswendig hersagen könnte. Dazu kommen die individuellen Vorstellungen, die er sich von den Personen und ihrer Umgebung gebildet hat. Verfilmungen von Dauer-Bestsellern wie Jane Austens Stolz und Vorurteil haben es deshalb besonders leicht und schwer zugleich. Leicht, weil sie sich des generellen Interesses des Kinopublikums sicher sein können. Schwer, weil es so gut wie unmöglich ist, die unterschiedlichen Erwartungen der vielen Romanleser zu erfüllen. Die BBC-Miniserie von 1995 ist bei vielen Fans vor allem deshalb so beliebt, weil sie sich sehr genau an den Ablauf und das Ambiente der Vorlage hält – sieht man einmal von einem Highlight wie Mr. Darcys Bad im See ab. Es gibt eigentlich nichts an der Verfilmung auszusetzen, sie ist amüsant und unterhaltsam – aber ganz ehrlich, einmal anschauen reicht dann auch. Der Film von 2005 mit Keira Knightly und Matthew MacFadyen wird dagegen auch nach mehrmaligem Anschauen nicht langweilig – woran liegt das?

Mehr als eine Buchillustration

Eine Literaturverfilmung, die sich zu eng an ihre Vorlage hält, läuft Gefahr, ihren Wert als eigenständiges Kunstwerk zu verlieren und zum bloßen Anhängsel zu werden. Viele Szenen genießen wir dann vielleicht nur, weil wir das Buch so gut kennen und nun endlich die passenden Bilder dazu sehen. Ein Film muss aber auch für sich selbst interessant und verständlich sein.

Auch ich war über einige Szenen in Stolz und Vorurteil, die so nicht im Buch vorkommen, zunächst etwas befremdet – der Heiratsantrag im strömenden Regen, Mr. Darcy im offenen Hemd auf dem Weg nach Longbourn … Die damit verbundene Symbolik war aber so offensichtlich, dass ich mich schnell an diese Abweichungen gewöhnte und diese Szenen inzwischen besonders gern mag.

Länger ist nicht unbedingt besser

Verglichen mit einer sechsteiligen Fernsehserie ist ein Kinofilm sehr kurz. Die Handlung muss also gerafft, Unwesentliches muss weggelassen werden. Lässt man jedoch zu viel weg, läuft man Gefahr, dass nur noch ein Gerippe übrigbleibt, das alle enttäuscht: die Kenner des Romans, weil vielleicht gerade ihre Lieblingsszenen fehlen, die Nichtleser, weil die Geschichte unverständlich wird.

Der Film muss also mit seinen eigenen Mitteln das Fehlende ersetzen. In seltenen Ausnahmefällen kann er sogar die Buchvorlage übertreffen. Filme haben immer dann ihre großen Momente, wenn sie symbolkräftige Bilder entwickeln. Solche Szenen regen die Fantasie des Zuschauers an, weil sie mehr Bedeutung in sich tragen, als unmittelbar dargestellt wird.

Bilder, die zum Träumen einladen

In Stolz und Vorurteil sind es vor allem drei Szenen, die viel Symbolik enthalten und dadurch sehr aussagekräftig sind: die beiden Heiratsanträge und der Beginn von Elizabeths Reise in den Norden.

Darcys Heiratsanträge werden im Film anders dargestellt als im Roman. Während Mr. Darcy bei Jane Austen beim ersten Mal, wie es sich gehört, im geschlossenen Raum um Elizabeth anhält, ihr seinen erklärenden Brief dann aber im Park übergibt, ist es im Film genau umgekehrt. Die Natur und der strömende Regen unterstreichen das "Wilde", Unpassende des Vorhabens, und zugleich natürlich das Scheitern. Der Brief führt dann wieder in die gesittete Zivilisation zurück. Aber auch diese Szene wirkt eher wie ein Tagtraum Elizabeths, denn es ist natürlich ganz undenkbar, dass sie Mr. Darcy im Morgenmantel und mit unfrisiertem Haar empfangen würde. Das Surreale der Szene unterstreicht jedoch die inzwischen entstandene Intimität zwischen den beiden.

Der erfolgreiche Heiratsantrag am Schluss findet ebenfalls außerhalb des Hauses in der Natur statt. Das ist zwar bei Jane Austen auch so, allerdings handelt es sich dort um einen gesellschaftlich akzeptierten Spaziergang. Im Film dagegen ist es eine spontane Begegnung der beiden, die gleichzeitig im Morgengrauen ihre Behausungen verlassen – eigentlich höchst unrealistisch. Statt strömenden Regens bildet diesmal die aufgehende Sonne den passenden Hintergrund.

Ganz ohne Vorbild im Roman ist aber die Szene, in der Elizabeths geschlossene Augen in Großaufnahme gezeigt werden, kurz vor ihrer Reise in den Norden. Im nächsten Bild steht sie dann an einer Klippe und blickt in die Weite der Landschaft. Dieses Bild markiert den Wendepunkt der Geschichte. War Elizabeths Blick vorher durch ihre Vorurteile verdunkelt, so beginnt sie jetzt endlich klarzusehen. Untermalt wird die Szene von der sehr eingängigen Filmmusik, die ebenfalls stets leitmotivisch eingesetzt wird und damit die Gedanken der Zuschauer in die gewünschte Richtung lenkt.

Zum Träumen und Weiterspinnen von Geschichten braucht es Leerstellen und Freiräume. Die bietet dieser Film mit seiner wunderschönen Bildersprache in Fülle. Deshalb überrascht er auch bei wiederholtem Ansehen immer noch mit etwas Neuem und regt zum Nachdenken an.

Autor seit 13 Jahren
49 Seiten
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