Syrien vor dem Bürgerkrieg

Vor dem sogenannten arabischen Frühling, der 2010 mit Protesten in Tunesien begann und Anfang 2011 auch Syrien erfasste, war die Arabische Republik Syrien ein nach außen hin stabiles Land. Der letzte Krieg, der Jom-Kippur Krieg mit Israel 1973, lag über 35 Jahre zurück. Die Baath-Partei herrscht seit 1967 und Hafez Al-Assad und nach dessen Tod im Jahre 2000 sein Sohn Baschar regieren als Präsidenten (oder besser gesagt Diktatoren) unangefochten das Land. Eine demokratische Opposition gibt es nicht und Aufstände, wie zum Beispiel 1982 in Hama, werden brutal und rücksichtslos niedergeschlagen.

Leider erfüllte sich die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel und wirtschaftliche Reformen durch Baschar Al-Assad, der in England zum Augenarzt ausgebildet war, nicht. Erste zögerliche Ansätze kamen schnell zum Erliegen. Auch die Privatwirtschaft erfuhr nicht die notwendige Unterstützung und Reformen. Die Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit, gerade unter der jungen Bevölkerung, steigt.

Wer sich anpasste, unpolitisch blieb und auch über die nötigen Beziehung verfügte, konnte in Syrien gut leben. Die Religionen, islamische Gruppierungen wie Sunniten und Alawiten aber auch Christen, von denen es 10% gab, lebten friedlich nebeneinander. Syrien war ein säkularer Staat der Minderheiten tolerierte. Nicht ganz uneigennützig, gehörten doch die herrschenden Al-Assads selbst einer Minderheit an, den Alawiten, einer islamische Sekte.

Anders als in vielen anderen arabischen und islamischen Ländern, gab es für die Frauen keine Einschränkungen. Sie konnten studieren, es war normal dass Frauen arbeiteten und ihr Leben weitgehend selbst bestimmten. Einzig die eigene Familie, abhängig davon wie tolerant oder konservativ sie war, setzte die Grenzen für Frauen und Mädchen.

Wie in vielen Ländern gab es große Unterschiede zwischen arm und reich. Wer über die nötigen Kontakte verfügte oder gar mit der Herrscherfamilie verwandt war, konnte alles bekommen. Korruption war allgegenwärtig. Aber auch einfachere Beamte, Angestellte oder Unternehmer hatten ein zufriedenstellendes Auskommen. Viele besaßen eigene Wohnungen und ein Auto. Fernseher und Mobiltelefone waren selbstverständlich. Wer konnte, schickte seine Kinder zum Studium an die Universität. Der Bildungsstandard war hoch, viele Syrer verdienten ihr Geld in den reichen arabischen Golfstaaten als Arzt oder Anwalt.

Natürlich gab es auch viele, die sich so einen Lebensstandard nicht leisten konnten und täglich für ihr Einkommen hart arbeiten mussten und es zunehmend schwerer hatten. Es gab aber kaum jemanden, der das Land verlassen wollte.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad (Bild: Wikimedia Commins/Sebastian Wallroth)

Der Bürgerkrieg beginnt

Im Frühling 2011 änderte sich alles. Was erst vereinzelt mit Protesten begann, eskalierte schließlich zu einem gewalttätigen Bürgerkrieg. Baschar Al-Assad ließ alle Proteste brutal niederschlagen, auf friedliche Demonstranten wurde geschossen. Gerade die jungen Menschen wollten ihren Anteil an Freiheit und Chancengleichheit. Das Internet zeigte ihnen, was woanders möglich war.

Im Laufe des Jahres 2011 begannen sich die Regierungsgegner zu bewaffnen, unterstützt von der Freien Syrischen Armee (FSA), die sich aus ehemaligen und übergelaufenen Soldaten rekrutierte. Eine Opposition im türkischen Exil versuchte, alle Regimegegner zu vereinen, scheiterte aber an internen Querelen. Immer mehr Gruppierungen, bis hin zu islamischen Fundamentalisten beteiligten sich an den Kämpfen und verfolgten ihre ganz eigenen Ziele. Weite Gebiete wurden von den Rebellen eingenommen und die Regierungssoldaten von dort vertrieben.

Die Situation wurde völlig undurchschaubar. Auf Regierungsseite kämpften neben regulären Truppen auch die schiitische Hisbollah aus dem Libanon. Russland und Iran unterstützten Assad militärisch mit Waffen und "Beratern".

Auf der anderen Seite kämpfte ein breites Spektrum, angefangen von den Kurden, die wieder einmal eine Möglichkeit eines eigenen Staates sahen, über die gemäßigte Freie Syrische Armee bis hin zu radikalen Gruppierungen wie die Al-Nusra-Front und der Islamische Staat IS.

Strasse in Aleppo/Syrien vor ...

Strasse in Aleppo/Syrien vor Ausbruch des Bürgerkriegs (Bild: koka)

Syrien zerfällt

Immer mehr Gruppierungen und Länder beteiligen sich direkt oder indirekt am Konflikt in Syrien. Der Westen, unter der Führung der USA, aber auch mit Unterstützung einiger Golfstaaten, reagiert auf die Bedrohung des Islamischen Staates mit Luftangriffen. Obwohl Assad nachgewiesenermaßen Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, hatte dieses Überschreiten der von Präsident Obama gezogenen "roten Linie" keinerlei Konsequenzen.

Beide Seiten kämpfen mit zunehmender Brutalität, die Zahl der Getöteten steigt in die Hundertausende. Sobald Assad Gebiete an die Aufständischen verliert, reagiert er mit Luftangriffen und den berüchtigten "Fassbomben", die er wahllos auf die Städte und Dörfer abwirft. Tausende Zivilisten, unter ihnen viele Kinder kommen dabei ums Leben.

Syrien zerfällt 2015 in vier Gebiete:

  • Die Küstenregion um Latakia, sowie Damaskus und ein Teil Aleppos bleibt unter der Kontrolle von Baschar Al-Assad
  • Im schwach besiedelten Ostteil des Landes, sowie in Gebiete im Nordosten und um Aleppo wütet der Islamische Staat IS.
  • Im Norden an der türkischen Grenze kontrollieren die Kurden einen Teil des Landes.
  • Der restliche Teil Syriens, der Nordwesten und Süden des Landes, ist in der Gewalt unterschiedlichster islamischer Fundamentalisten (z.B. der Al-Qaida nahestehenden Nusra-Front) sowie der gemäßigten Freien Syrischen Armee FSA.

Das Leben im Bürgerkrieg

In den von der Regierung kontrollierten Gebieten gibt es nach wie vor ein geregeltes Leben und, abgesehen von vereinzelten Anschlägen, auch eine relative Sicherheit. Grund ist, dass die Aufständischen weder über eine Luftwaffe verfügen noch über weitreichende Waffen. Trotzdem sind die Auswirkungen des Bürgerkriegs zu spüren. Die Versorgungslage mit Lebensmittel, Treibstoff und Heizöl wird schwieriger, der Strom fällt gelegentlich aus und die Preise steigen stark an. Die Syrische Lira wird gegenüber dem Euro praktisch wertlos. Die vom Westen verhängten Sanktionen tun ein übriges dazu.

Trotzdem, die Schulen und Universitäten sind geöffnet, es gibt einen geregelten Lehrbetrieb, die Menschen gehen zur Arbeit, Beamte und Angestellte erhalten ihr Geld, den Rentnern wird ihre Rente ausbezahlt. Trotz dieser oberflächlichen Normalität ist klar, dass man in einem Kriegszustand lebt. Menschen werden verhaften und verschwinden plötzlich, die Geheimpolizei versucht, alle Regimegegner unschädlich zu machen.

Deutlich schlimmer ist die Situation in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten. Dies liegt aber nur zum Teil an ihnen selbst. Natürlich ist die Versorgung mit Lebensmittel, Elektrizität und Wasser deutlich schwieriger und es gelingt nur sehr zögerlich, eine funktionierende Verwaltung aufzubauen. Viel schlimmer sind allerdings die ununterbrochenen und wahllosen Angriffe der syrischen Luftwaffe auf besetzte Dörfer und Städte. Niemand ist sicher davor, da die Bomben auch zivile Gebäude, Schulen und Krankenhäuser treffen und auch öffentliche Plätze und Märkte nicht verschon werden.

Das öffentlicher Leben bricht zusammen, es gibt keine Schule mehr für die Kinder, da der Schulweg zu gefährlich ist, Krankenhäuser schließen aus Geldmangel oder wegen der Zerstörung. Es gibt kaum mehr die Möglichkeit einer geregelten Arbeit nachzugehen, Beamte bekommen kein Gehalt mehr und Rentner keine Rente. Ihre Häuser und Wohnungen sind beschädigt oder komplett zerstört. Die Lebensgrundlage und Perspektive der Menschen ist vernichtet.

Dazu kommen noch die Vorschriften der religiösen Fundamentalisten. Frauen dürfen plötzlich nur mehr verschleiert aus dem Haus gehen, nicht mehr alleine sondern nur mehr in Begleitung eines Verwandten, sie dürfen nicht mehr arbeiten sondern sollen sich nur mehr um Kinder und Familie kümmern. Für viele modern aufgewachsene Syrer unvorstellbar.

Normale Menschen werden zu Flüchtlingen

Dies sind die Gründe, warum die Menschen Syriens zu Flüchtlingen werden. 2015 waren es über 10 Millionen. Die Mehrheit davon, ca. 7.5 Millionen, sind Vertriebene im eigenen Land. Zuerst verlassen sie Ihre zerstörten Wohnungen in der Hoffnung, woanders, im Nachbarort, unterzukommen. Oft teilen sich ganze Familien ein einziges Zimmer. Aber die Situation ist dort nicht anders. Nur die wenigsten haben die Möglichkeit, in regimekontrollierte Gebiete zu fliehen. Dort würden sie sofort der Geheimpolizei als potentielle Aufständische ausgeliefert sein. Zudem gibt es auch dort weder genügend Wohnraum noch Arbeit.

Ein Teil der Flüchtlinge geht ins benachbarte Ausland. Sie leben zum Teil in Lagern und hoffen auf ein baldiges Ende der Kämpfe und ihre Rückkehr in die Heimat. Mindestens 1.5 Millionen Syrer hat die Türkei aufgenommen, etwa 2 Millionen leben im Libanon, das selbst nur 4 Millionen Einwohner hat. Im kleinen Jordanien sind offiziell gut 600.000 Syrer.

Nur ein kleiner Teil macht sich auf den gefährlichen und teuren Weg nach Europa um Schutz durch Asyl zu suchen.

Neben diesen Menschen, deren Antrieb die Hoffnung auf ein sicheres Leben und eine Perspektive für Ihre Kinder ist, gibt es noch eine weitere Gruppe, die das Land verlässt.

Es sind die jungen Männer. Durch den inzwischen jahrelangen Bürgerkrieg ist die reguläre Armee stark geschwächt, sie braucht permanenten Nachschub. Die jungen Männer sind nichts weiter als Kanonenfutter und können ihr Leben nur mit der Flucht ins Ausland retten. Man kann es ihnen nicht vorwerfen, Syrien ist nicht in einem Krieg gegen einen auswärtigen Angreifer, wo man die moralische Pflicht hätte, seine Heimat und Familie zu verteidigen. Es herrscht Bürgerkrieg, der eigene Präsident tötet wahllos sein Volk. Wer ist der Gegner? Es gibt kein Gut und Böse mehr, es scheint inzwischen ein wahlloses Töten Jeder gegen Jeden. Es gibt keine einheitliche Opposition, auch die verschiedenen aufständischen Gruppierungen bekämpfen sich gegenseitig.

Basar in Aleppo/Syrien vor Ausbruch ...

Basar in Aleppo/Syrien vor Ausbruch des Bürgerkriegs (Bild: koka)

Syriens Zukunft

Mit zunehmender Dauer des Bürgerkriegs wird Syriens Schicksal ungewisser den je. Durch die fortdauernde Unterstützung durch Russland und den Iran kann sich Assad noch jahrelang halten. Auch die Gegenseite bekommt Geld und Waffen aus unterschiedlichen Quellen. Der Islamische Staat verzeichnet trotz andauernder Bombardierung einen wachsenden Zulauf an Kämpfern aus dem Ausland. Es hat sich ein Patt eingestellt, das Land ist zerfallen. Städte wie Aleppo sind faktisch geteilt. Keine Seite macht irgendwelche bedeutende Fortschritte.

Die westlichen Staaten mit den USA scheinen sich mit der Situation abgefunden zu haben, sie sind planlos. Es ist klar, dass zwar keiner Assad unterstützen möchte, gleichzeitig gibt es anscheinend keine wirkliche Alternative. Keinen der Regimegegner traut man zu, Syrien in eine demokratische Zukunft zu führen. Dementsprechend halbherzig fällt deren Unterstützung aus. Eine Intervention des Westens ist nicht in Sicht, und es ist auch mehr als fraglich, ob es die Lösung wäre.

Die Flüchtlingskrise in Europa scheint wieder etwas Bewegung in die verfahrene Situation zu bringen. Die Flüchtlingsströme aus Syrien können nur gestoppt werden, wenn den Menschen wieder eine Perspektive in ihrer Heimat gegeben werden kann. Schon verlautet von Bundeskanzlerin Merkel, man müsse doch wieder mit Assad sprechen, nachdem das jahrelang kategorisch ausgeschlossen wurde.

Russlands Präsident Putin verstärkt gerade die Präsenz in Syrien und baut dort offenbar Truppen auf. Er versucht mit aller Gewalt Assad und damit auch Russlands Stellung in dieser Region zu behaupten, doch seine wirklichen Ziele sind unklar.

Für Syrien sind die Aussichten düster. Das wahrscheinlichste Szenario ist, neben einem noch jahrelang andauernden Bürgerkrieg, eine Teilung des Landes.

Assad könnte mit russischer Unterstützung sein Kerngebiet behalten und sichern, während der Rest des Landes in ein Chaos versinken würde, aufgeteilt und umkämpft von den unterschiedlichsten Gruppierungen. Für die Menschen in Syrien ist leider keine schnelle Änderung in Sicht

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